Marie-Theres Wacker – « Postkoloniale Annäherungen an Gal 3,27-28 für eine Vielfalt des Christentums in Asien »

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Erinnerungen

In meiner Kindheit, dem Jahrzehnt vor Beginn des II. Vaticanums, hörte ich zuhause viele Erzählungen über Missionare, die zu fernen Völkern zogen, um das Wort Gottes zu verkündigen. Mein Vater war Laien-Mitarbeiter der Steyler Missionare (SVD) in deren Mutterhaus in Steyl, das nur wenige Kilometer von meinem Geburtsort an der niederländischen Grenze entfernt liegt. Meine Brüder und ich wussten, dass Steyler Patres, Schwestern und Brüder auch in vielen asiatischen Ländern tätig waren. Erst viel später, während meines Theologiestudiums in den 1970ern, wurde mir bewusst, dass Arnold Janssen seine Kongregation in einer Zeit gegründet hatte[1], als der deutsche Kaiser damit begann, im Pazifik Kolonien zu erwerben, und dass eines dieser sogenannten „Schutzgebiete“, das heutige Neu-Guinea, damals „Kaiser-Wilhelms-Land“, Missions­gebiet der Steyler war. Heute wird in dieser Kongregation – wie in vielen anderen Missionsgesellschaften auch – die eigene Vergangenheit kritisch reflektiert. Der seinerzeit mit hohem Ernst vertretene Ansatz, Mission bedeute Seelen zu retten, musste nach dem II. Vaticanum theologisch neu und anders gefasst werden. Das Bewusstsein, man bringe Zivilisation zu Völkern, die, wie in Neu-Guinea, ethnologisch von Interesse, kulturell und damit verbunden auch moralisch aber defizitär seien oder, im Fall der Philippinen, zu schwach, um den katholischen Glauben ohne Hilfe von außen lebendig zu erhalten, erscheint heute als Ausdruck westlicher Arroganz. Auch die Steyler hielten Distanz zu Teilen des Kolonialregimes[2], wussten gleichzeitig aber, dass für die eigene Missionsarbeit eine gewisse Unterstützung durch das Regime notwendig war, und waren deshalb auf Verhandlungen in der „Kontaktzone“ zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten angewiesen, eine durchaus ambivalente Situation.

Auf dem Hintergrund derartiger historisch-biographischer Erinnerungen ist es für mich plausibel, dass ich – als deutsche katholische Theologin und Bibelwissenschaftlerin, die eingeladen wurde, im Blick auf „Christentum in Asien“ oder besser: „Die Vielfalt des Christentums in asiatischen Kontexten“ Überlegungen aus biblischer Sicht vorzutragen – Aspekte postkolonialer Exegese aufzunehmen suche. Da auch in vielen asiatischen Kontexten die Diskriminierung von Frauen und anderen Geschlechtern zur sozialen Realität gehört und in diesen Kontexten selbst kritisiert wird[3],muss die Perspektive einer kritischen Genderforschung zur postkolonialen Sensibilität hinzukommen.

Im Folgenden wird der kleine Abschnittaus dem Brief des Paulus an die Gemeinden in Galatien, Gal 3,27-28, im Mittelpunkt stehen:

27Denn ihr alle, die ihr in Christus hinein getauft seid, habt Christus (als Gewand) angelegt. 28Da ist nicht mehr Jude, auch nicht Grieche; da ist nicht mehr Sklave, auch nicht Freier; 

da ist nicht mehr männlich und weiblich; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus.

Sprache

Im Sinne von Gayatry Chakravorty Spivaks rhizomatischem Denk- und Schreibprozess[4] muss ich mich bereits hier unterbrechen und, bevor ich auf den Inhalt dieses Textstückes zu sprechen komme, auf ein komplexes Sprachproblem aufmerksam machen. Die Sprache, in der die Briefe des Paulus überliefert sind, ist das Koine-Griechische, mit dem einerseits als Verkehrssprache ein breites Publikum erreicht werden konnte, das andererseits aber auch die an diese Sprache gebundenen Konzepte der Weltwahrnehmung in alle Kulturen der hellenistischen Welt transportierte und die Menschen, die des Koiné nicht mächtig waren, von der Kommunikation ausschloss. Allerdings war nicht das Koiné-Griechische, sondern das Lateinische – das die christliche Kirche des Westens zu ihrer lingua franca gemacht hat – zur Zeit des Neuen Testaments die Sprache der imperialen Herrschaft Roms. Und Paulus war in seiner Zeit kein Repräsentant einer hegemonialen politischen oder kulturellen Macht, sondern Protagonist einer Neuinterpretation des Judentums, mit der er zwischen viele Kampflinien geriet. Wenn heute bei internationalen Veranstaltungen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft oft und viel englisch gesprochen wird, dann verbindet sich auch hier der Vorteil leichter Kommunikation mit der Benachteiligung all jener, die länger brauchen, ihre Gedanken auf Englisch zu ordnen oder in Worte zu fassen. Dazu kann die kritische Frage treten, welches „Empire“ mit der Privilegierung dieser Sprache als Kommunikationsmedium in unserer Gegenwart privilegiert wird.

Für eine Bibelwissenschaftlerin kommen weitere Ebenen der Komplexität hinzu: Bibeltexte brauchen Übersetzungen, nicht nur in linguistischer Hinsicht, damit Menschen, die die biblischen Sprachen nicht erlernt haben, sich mit der Bibel ins Gespräch begeben können, sondern auch im Sinne der Reflexion auf den (historischen) Abstand zwischen der Welt des Textes und der Welt derer, die ihn heute hören oder lesen. Im kirchlichen Gebrauch wird dieser Abstand gern zugunsten einer bestimmten Auslegung, die durch die kirchliche Lehre vorgegeben ist, übersprungen. Dabei kann gerade in der Wahrnehmung dieser drei Pole: des biblischen Textes, der Geschichte ihrer Deutungen und der Reflexion auf die gegenwärtigen Kontexte ein fruchtbares Gespräch zustande kommen. Diese Konstellation lässt sich in postkolonialer Perspektive weiterdenken: biblische Texte sind fluide Texte, die nicht nur in der Auslegungsgeschichte, sondern bereits im Kontext der Bibel selbst unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Und dies wiederum hängt damit zusammen, dass biblische Texte – wie jeder Text – poröse Texte sind, die bereits von ihren Autoren intendierte Leerstellen enthalten, deren Leerstellen sich aber mit jeder Lektüre in einem neuen Kontext verändern können. Welche Folgen hat der Ausgang von der Porosität und Fluidität von Texten für die Wahrnehmung von Gal 3,27-28?

Judentum

Wenn man in v. 27 den Bezug auf die Taufe und die Anspielung auf das Anlegen eines Gewandes zusammenzieht, kann man an einen Taufritus denken, bei dem das „Hineingetauft-Werden“ in Christus durch das Kleid, das die Täuflinge anzogen, besiegelt wird. Zumindest legt diese Anspielung die Vorstellung nahe, dass Christus die Getauften nun wie ein Gewand umhüllt. Paulus setzt diese Vorstellung in seinem Brief an die galatischen Gemeinden als ein aus seiner Sicht starkes Argument dagegen ein, von Männern, die zur Gemeinschaft in Christus gehören wollten, die Beschneidung zu fordern. Im Kontext dieses den Brief bestimmenden Hauptproblems erhält in der dreifachen Formel, die in v. 28 folgt, das erste Paar das stärkste Gewicht: „in Christus ist nicht mehr Jude, auch nicht Grieche“. Im Licht dieses Hauptproblems aber wird auch deutlich, dass es nicht allgemein um ethnische oder kulturelle Unterschiede geht, sondern um die spezifische Differenz zwischen Beschnittenen („Jude“) und Unbeschnittenen („Grieche“). Deshalb lässt sich die Aussage „ihr alle seid «einer» in Christus Jesus“ als Aufforderung explizieren, nicht auf Markierungen am nackten Körper zu bestehen, sondern der Logik der neuen „Haut“ zu folgen, die durch Christus als Gewand gegeben wurde, oder anders gesagt der „Investitur“ zu entsprechen, die die Täuflinge zu Kindern und Erben Abrahams gemacht hat. Denn darum geht es Paulus in seinem Brief nach Galatien: Unbeschnittene werden zusammen mit den Beschnittenen Teil der Familie Abrahams und des dieser Familie versprochenen Segens, indem sie (durch die Taufe) in die Gemeinschaft mit Christus eintreten. 

An dieser Stelle muss ich mich erneut unterbrechen: Nach der sogenannten „New Perspective“ der Paulusforschung ist, um es auf den Punkt zu bringen, Paulus kein Christ, sondern ein Jude, der sich einer neuen innerjüdischen Bewegung angeschlossen hat, in der der auferstandene Christus verkündigt wurde und die offen dafür war, Nichtjuden als volle Mitglieder anzuerkennen. Die harsche Polemik im Brief an die galatischen Gemeinden, die das „Gesetz“ gegen den „Glauben“ stellt, verurteilt nicht das Judentum insgesamt als falschen Weg, sondern richtet sich gegen Stimmen in den galatischen Gemeinden selbst, die sich mit Berufung auf die Tora des Mose dagegen wehrten, Juden und Nichtjuden an einem gemeinsamen Tisch zu sehen, im metaphorischen, aber auch in einem sehr konkreten Sinn.[5]Ich möchte die „New Perspektive“ hier besonders hervorheben, weil zu meiner Geschichte als Bibelwissenschaftlerin aus Deutschland der Holocaust gehört, der Versuch, das jüdische Volk im Namen einer rassistischen und nationalistischen Ideologie auszulöschen. Die katholische Kirche in der Zeit des Dritten Reiches war in Ängsten um ihren eigenen Fortbestand und zugleich in einer Theologie der Abwertung des Judentums als von Gott verstoßene Synagoga gefangen, und beides hat sicher zu einer Desensibilisierung gegenüber der immer bedrohlicher werdenden Situation der jüdischen Nachbarn beigetragen. Das II.Vaticanum hat mit dem Satz „Gottes Gnadengaben sind unwiderruflich“ (Nostra Aetate Nr. 4) die entscheidende Neuorientierung gebracht: der Bund Gottes mit dem Volk Israel besteht weiterhin; er bezieht sich keineswegs nur auf das „neue Israel“, die Kirche. Es ist meine Hoffnung, dass dieses Element katholischer Theologie des II. Vaticanums auch in den diversen Kontexten asiatischen Christentums Wurzeln fassen kann. Ist nicht auch das Judentum eine Religion Asiens?

Sklaverei

Die feministische Neutestamentlerin Brigitte Kahl hat den Galaterbrief „das «phallozen­trischste» Dokument des Neuen Testaments“ genannt[6]. Denn mit seinem Beschneidungsdiskurs richtet sich das Interesse des Paulus ja auf Männer und werden Männer zum Maßstab für ein Konzept religiöser Zugehörigkeit gemacht. In manchen Fällen mag die Taufe einespaterfamilias mit seinem ganzen Haus diesem Konzept entsprochen haben, wie in Apg 16, 31-34 (vgl. auch 18,8) über einen Gefängnisaufseher in der Stadt Thyatira erzählt wird. Im Neuen Testament begegnet man aber auch Frauen und ihrem Haus, Maria (Apg 12,12), Lydia (Apg 16,14f.40) und Nympha (Kol 4,15). Dass solche Frauen die Taufe als eine rituelle Handlung empfanden, die auch ihnen neben den Männern einen eigenen Aufnahmeakt in die Gemeinde gewährte, ist möglich[7].Für Frauen, ob sie Jüdinnen oder Nichtjüdinnen waren, hatte die Beschneidungsfrage keine Relevanz im Hinblick auf sie selbst, wohl aber im Blick auf die Männer in ihrem Haus, insbesondere auch die männlichen Sklaven. Die Formel in Gal 3,28, da sei „nicht mehr Sklave, auch nicht Freier“ hält auch für die Sklaven fest, dass sie keine Beschneidung brauchen, um „in Christus“ zu sein. Im Blick auf Sklaven (und Sklavinnen) konnte sich allerdings ein anderes Problem stellen: nach dem mosaischen Gesetz, der Tora, hatten jüdische Familien den Sabbat zu halten, also von der Arbeit zu ruhen und in diese Arbeitsruhe auch Sklaven und sogar das Vieh einzubeziehen. Wenn Paulus darauf besteht, dass „das Gesetz“ dem „Glauben“ an Christus zu weichen hat, kann dies wohl kaum bedeuten, dass er die Sklaven und Sklavinnen in Haushalten, die „in Christus hineingetauft“ waren, der pausenlosen Ausbeutung überlassen wollte. „Nicht mehr Sklave, auch nicht Freier“, sondern „«einer» in Christus“ erweist sich dann als eine Formel, die dazu auffordert, die Tora des Mose im Licht Christi neu zu bedenken und ihre Ressourcen für ein Leben in der Gemeinschaft mit und in Christus zu nutzen. Diese Gemeinschaft hat das Potenzial eines „third space“, in dem neue Koordinaten des Umgangs mit Verschiedenheiten verhandelt und realisiert werden können.

Gender

Dies gilt auch im Blick auf das dritte Element der Formel in Gal 3,28: „da ist nicht mehr männlich und weiblich“. Hier ist die genaue Wahrnehmung des griechischen Wortlauts wichtig, der nicht von „Mann oder Frau“ spricht, sondern an die Formulierung in Gen 1,27 erinnert, wonach Gott die Menschen „männlich und weiblich“ erschaffen hat. Zur Bedeutung der Aussage, in Christus sei „nicht mehr männlich und weiblich“ wurde schon in den ersten Jahrhunderten des entstehenden Christentums ein ganzes Auslegungs-Spektrum entwickelt[8], das noch breiter wird, wenn man davon ausgeht, dass die Formel Gal 3,28 nicht von Paulus geprägt wurde, sondern aus einem Taufritus stammt[9]. Wer etwa die Erschaffung des männlichen und weiblichen Menschen mit der  Aufforderung zur Fortpflanzung verbunden sah (Gen 1,27-28), konnte Gal 3,28 als Einladung zu einem asketischen Leben auffassen, eine Interpretation, die in der Alten Kirche für Frauen attraktiv war. Stellt man das Machtgefälle zwischen Sklaven und ihren Herren in den Vordergrund, lässt sich das dritte Glied der Formel auf die Negation von Herrschaftsbeziehungen zwischen Männern und Frauen beziehen. Die frühchristliche Gruppe der Montanisten hat mit Berufung auf Gal 3,28 Frauen als Priester und Bischof zugelassen[10]. In ihrer Zeit wurden die Montanisten marginalisiert; heute wären sehr andere soziokulturelle und theologische Voraussetzungen gegeben und könnte der Raum der Kirche dazu genutzt werden, Ämterfrage und Geschlechterdifferenz zu entkoppeln. Die 850 Ordensoberinnen mit ihren Fragen an Papst Franziskus bei einer Audienz am 12. Mai 2016[11] haben diesem Thema wichtige Impulse gegeben.

Elisabeth Schüssler Fiorenza geht in ihren Überlegungen zu Gal 3,28 von der Voraussetzung aus, dass es wenig Sinn macht, die einzige „richtige“ historische Auslegung anzustreben, sondern es darauf ankommt, die eigenen Kriterien des Zugangs und der Option für eine bestimmte Akzentsetzung offenzulegen[12]. In diesem Sinn möchte ich die Porosität des Textes weiter explorieren und eine gegenwärtige Frage aufgreifen, die nicht nur in „westlichen“ Ländern, sondern auch in vielen Kontexten Asiens[13] virulent ist, den Status von Menschen, die mit dem Schema von zwei und nur zwei Geschlechtern nicht zu erfassen sind. Im Neuen Testament erscheint eine Figur „zwischen“ den Geschlechtern, die gleichzeitig auch eine historisch vorhandene Institution sichtbar macht, der äthiopische Eunuch auf seiner Reise nach Jerusalem (Apg 8,26-40)[14].Als Eunuch ist er ein „Nicht-Mann“ und deshalb nicht undifferenziert als intersexuell, erst recht nicht als transsexuell zu vereinnahmen[15]; im intertextuellen Zusammenspiel mit Gal 3,28 lässt sich aber mit Blick auf ihn die Frage diskutieren, welche Deutungsaspekte sich für die (vor-)paulinische Formel, dass in Christus „nicht mehr männlich und weiblich“ sei, auftun. 

Der Äthiopier war, so wird erzählt, nach Jerusalem gekommen um zu beten, woraus wohl zu schließen ist, dass er das Gotteswort in Jes 56,3-5, das Eunuchen ausdrücklich in den Bund des Gottes Israels einlädt, als an ihn gerichtetes Wort verstanden hatte. Auf seinem Heimweg liest er (wieder) im Buch Jesaja, diesmal die Worte über das Lamm, dass geschlachtet wurde, ohne seinen Mund zu öffnen (Jes 53,7-8), und er fragt sich, ob diese Sätze auf den Propheten zu beziehen sind – eine auch heute in der Exegese vorgetragene Position – oder auf jemanden anderes. Philippus, einer der Zwölf, die Jesus gefolgt waren, deutet die Sätze auf Christus, woraufhin der äthiopische Eunuch sich taufen lässt. Er ist das Exempel eines „Gottesfürchtigen“, d.h. eines Menschen, der sich dem Gott Israels verbunden sieht, und zugleich das Exempel eines Menschen, der über die Lektüre der jüdischen Heiligen Schriften zum Glauben an Christus findet. Wenn er bei seiner Taufe die Formel „da ist nicht mehr männlich und weiblich; denn ihr alle seid «einer» in Christus Jesus“ gehört hätte, hätte er sie als Bestätigung des Prophetenwortes aus Jes 56,3-5 hören können, welches im Übrigen selbst eine Korrektur der Tora des Mose darstellt, wonach „jemand, dessen Hoden zerstört oder dessen Penis abgeschnitten ist, nicht in die Gemeinde Gottes aufgenommen wird“ (Dtn 23,1). Die Formel in Gal 3,28 hat das semantische Potential, auf Menschen „zwischen“ den Geschlechtern bezogen zu werden, wenngleich wir nicht wissen, ob dies in der Intention derer lag, die die Formel geprägt haben.

Die Figur des äthiopischen Eunuchen verweist jedoch auf noch weitere Leerstellen in dieser Formel. Als „Gottesfürchtiger“ ist er in religiöser Hinsicht weder Jude noch Grieche; als  Äthiopier unterscheidet er sich in ethnischer Hinsicht von den Menschen, die in den galatischen Gemeinden anzutreffen sind, und auch in dieser Hinsicht kann man sich fragen, ob sein „Fall“ in Gal 3,28 mitbedacht ist. Als hoher Beamter seiner Königin ist er nicht einfach ein „Freigeborener“, aber auch kein gewöhnlicher Sklave. Als Mensch, dessen Geschlechtsorgane wahrscheinlich verstümmelt wurden, trägt er Merkmale sexueller Gewalt an seinem Körper, ein Aspekt, der in Gal 3,28 unsichtbar bleibt. Mit seiner Taufe aber gehört er zu denen, die nun „«einer» in Christus“ sind. Philippus, der ihn taufte, geht weiter als Paulus. Philippus schafft Raum für Menschen, die die dreifach binäre Formel in Gal 3,28 sprengen. Es freut mich, dass ich diese Beobachtung in einem Land vortragen durfte, das die Bezeichnung „Philippinen“ trägt …. !

Schluss

Als Arnold Janssen, wahrscheinlich im Frühjahr 1875, den Erzbischof von Köln und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz aufsuchte, um ihm seinen Plan der Gründung einer Missionsgesellschaft vorzustellen, da soll der Erzbischof ihn sehr ernst angesehen und gesagt haben: „Wir leben in einer Zeit, wo alles wankt und unterzugehen scheint, und da kommen Sie und wollen noch etwas Neues anfangen?“ Darauf hätte Janssen geantwortet: „Wir leben in einer Zeit, wo vieles zugrunde geht und anderes dafür neu erstehen muss.“[16] Um wieviel mehr gilt dies für die Vielfalt des Christentums in asiatischen Kontexten!


[1] Zu Arnold Janssen und seinen drei Kongregationen vgl. Josef Alt SVD, Arnold Janssen. Lebensweg und Lebenswerk des Steyler Ordensgründers, Rom 1999. SVD-Mission auf den Philippinen begann 1909, vgl. a.a.O., 930-36.

[2] Für die Togo-Mission der Steyler vgl. die Studie von Rebecca Habermas, Skandal in Togo. Ein Kapitel deutscher Kolonialherrschaft, Frankfurt: S. Fischer, 2016.

[3]Vgl. schon Agnes Brazal, Body and Sexuality: Theological-Pastoral Reflections of Women in Asia, Manila: Ateneo de Manila University Press,2007, und als jüngeres Beispiel: Shaji George Kochuthara CMI (Hrsg.), Gender Justice in the Church and Society, Bangalore: Dharmaram Publications, 2016.

[4] Vgl. ihren bekanntesten Text:Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien: Turia+Kant, 2007.

[5]Vgl. für diese Akzentuierung besonders James D. G. Dunn, The Epistle to theGalatians, Peabody MA: Hendrickson, 1993; ders., The Theology of Paul’s Letter to the Galatians, Cambridge UK: University Press, 1993.

[6] Vgl. Brigitte Kahl, Der Brief an die Gemeinden in Galatien. Vom Unbehagen der Geschlechter und anderen Problemen des Andersseins, in: Luise Schott­roff und Marie-Theres Wacker (Hrsg.),Kompendium feministische Theologie, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus,32007, 603-611, 604.

[7] Das unterstreicht Tatha Wiley, Paul and the Gentile Women. Reframing Galatians. New York and London: Continuum, 2005. Man wird aber auch nicht vergessen dürfen, dass das Judentum in seinen verschiedenen Spielarten in griechisch-römischer Zeit attraktiv für Frauen war, wie das Beispiel der Lydia zeigt, die in Apg 16,14-15 als „gottesfürchtig“, d.h. dem Judentum zugeneigt, gekennzeichnet wird.

[8] Vgl. dazu Silke Petersen, Nicht mehr „männlich und weiblich“ (Gen 1,27). Die Rede von der Aufhebung der Geschlechterdifferenz im frühen Christentum, in: Irmtraud Fischer, Christoph Heil (Hrsg.) Geschlechterverhältnisse und Macht. Lebensformen in der Zeit des frühen Christentums , Wien u.a. 2010, 78-109; Angela Standhar­tinger, Geschlechterkonstruktionen bei Paulus. Feministische Zugänge zu Galater 3,27f und Römer 7,1-6, in: Una Sancta 4/2003, 339-349.

[9] Dafür scheint 1 Kor 12,13 zu sprechen; vgl. auch Kol 3,11. 

[10] Petersen 85, mit Verweis auf Epiphanius, Panarion 49,1,1ff

[11]https://w2.vatican.va/content/francesco/en/speeches/2016/may/documents/papa-francesco_20160512_uisg.html

[12] Elisabeth Schüssler Fiorenza, Gal 3,28 im Brennpunkt feministischer Hermeneutik, in: dies., Grenzen überschreiten. Der theoretische Anspruch feministischer Theologie (Theologische Frauenforschung in Europa Bd. 15), Münster 2004, 167-184

[13] Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Category:Intersex_rights_in_Asiahttps://en.wikipedia.org/wiki/LGBT_rights_in_Asia

[14] Vgl. Brittany E. Wilson, ‘Neither Male Nor Female‘. The EthiopianEunuch in Acts 8.26–40, in: New Testament Studies 60 (2014) 403-422; Martin Leutzsch, Eunuch und Intersektionalität. Ein multiperspektivischer Versuch zu Apg 8,26-40, in: Ute Eisen, Christine Gerber, Angela Standhartinger (Hrsg.), Doing Gender – Doing Religion. Fallstudien zur Intersektionalität im frühen Judentum, Christentum und Islam (WUNT 302), Tübingen: Mohr Siebeck 2013, 405-430.

[15] Darauf macht zu Recht Megan DeFranza, Sex Difference in Christian Theology. Male, Female, and Intersex in the Image of God, Minneapolis: Eerdmans, 2015, bes. 102-106 aufmerksam.

[16]Alt SVD, Arnold Janssen, 78-79.


Authorin

Marie-Theses Wacker ist emeritierte Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Zu ihren Forschungsgebieten gehören der biblische Monotheismus, die Literatur des hellenistischen Judentums und grundlegende Fragen der biblischen Hermeneutik. Zusammen mit Luise Schottroff hat sie einen feministischen Kommentar zu allen Schriften der Bibel herausgegeben.

Address: Seminar für Exegese des Alten Testaments, Johannistr. 8-10, D-48356 Münster, Deutschland.

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