Regina Ammicht-Quinn – « Ein feste Burg ist unser Gott »

4. Verabsolutierung von Sicherheit

Wird Sicherheit als „feste Burg“ gedacht, und Gott selbst als diese „feste Burg“, dann ist Sicherheit ebenso unendlich und absolut wie Gott. In säkularen Kontexten zeigt sich eine solche Verabsolutierung dadurch, dass der Wert der Sicherheit alle anderen Werte übersteigt. Sicherheit wird dann in einer Logik des „Everything beats being dead“ formuliert – alles ist besser als tot. Schon in medizinischen Konflikten, etwa am Lebensende, wird sichtbar, wie schwierig solche Aussagen auch im individuellen Fall sind. Werden sie im Kontext proaktiven Sicherheitshandelns verwendet, wo sie sich auf potenzielle Risiken und Gefahren beziehen, sind sie in hohem Maß problematisch. Denn in der Folge werden leicht andere Handlungsoptionen, die, vorsichtiger, nach anderen Grundgütern wie Menschenwürde, Freiheit, Privatheit oder Gerechtigkeit fragen, außer Kraft gesetzt. Damit wird die Illusion einer sicheren Gesellschaft in den Raum gestellt. In einer solchen Überhöhung des Sicherheitsbegriffs wird nicht mehr sichtbar, dass auf Dauer kein menschliches Leben und keine menschliche Gemeinschaft die Eigenschaft „sicher“ haben kann.

Zygmunt Bauman hat darauf hingewiesen, dass es für jeden Menschen der späten Moderne schwierig ist, das allgemeine Unsicherheitsgefühl auszuhalten, das menschliches Leben prägt.[1] Es ist oft einfacher, dieses Unsicherheitsgefühl, diese „transzendentale Obdachlosigkeit“ (Georg Lukàcz), in greifbare, subjektivwahrgenommene Ursachenkontexte zu überführen: Gift in der Nahrung, aggressive Jugendliche in der U-Bahn, potenzielle Terroristen potenziell überall. Das heißt weder, dass solche wahrgenommenen Bedrohungen die Wirklichkeit widerspiegeln, noch, dass die Wahrnehmungen nicht „real“ sind. Es heißt vielmehr, dass die Sehnsucht nach Vertrauen und Trost, die einer wahrgenommenen Bedrohung unterliegen kann, nicht außer Acht gelassen werden darf.


[1] Vgl. Zygmunt Bauman (2009): Wir Lebenskünstler. Frankfurt/M.: Suhrkamp.


5. Gute Sicherheit

Die Länder des Nordens haben die sichersten Gesellschaften, die es je gab. Aus dieser komfortablen Sicherheit ergeben sich drei Problembereiche, denn diese sicheren Gesellschaften stehen in einem Ungleichheits- und Ungerechtigkeitsgefälle:

  • Nach außen ist diese Sicherheit eine Ausnahme in der Weltgemeinschaft, und die eigene (z. B. ökonomische) Sicherheit geht auf Kosten anderer. 
  • Nach innen gilt diese komfortable Sicherheit keineswegs für alle, und Prostituierte, wohnungslose Frauen oder illegalisierte Migrant_innen haben sehr wenig oder keinen Anteil daran. Auch hier wird die Sicherheit einer Mehrheitsgesellschaft auf Kosten anderer hergestellt. 
  • Politisches oder individuelles Sicherheitshandeln steht immer in Gefahr, andere Grundgüter und –werte einzuschränken. Diese Einschränkung kann das beschädigen, was eigentlich geschützt werden soll: Menschen in ihrer Verletzbarkeit. 

Aus dieser Situation erwächst eine eigene Verantwortung, insbesondere dort, wo die eigene Sicherheit durch die Unsicherheit anderer erkauft ist: 

Sicherheit ist ungerecht, wenn sie erkauft ist durch die Unsicherheit der Armen, der Opfer von politischen und ökonomischen Stellvertreterkriegen, der Menschen, die „draußen“ bleiben müssen – seien es die Bettler_innen in den Fußgängerzonen der Städte oder die Migrant_innen an den Grenzen Europas.  Sicherheit ist ungerecht, wenn sie erkauft ist durch die Einschränkung von Privatheit und Freiheit, etwa dort, wo ein Staat durch neue Technologien seine Bürger_innen komplett transparent zu machen versucht.Das bedeutet: Sicherheit muss über bisherige Grenzen hinweg geteilt werden; und Sicherheit muss klug begrenzt werden.