2. Eine kurze Geschichte des Klerikers als ‘besonderem’ Mann

Ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Klerikers ist ein Blick in die Entstehung und Entwicklung des Christentums in den ersten Jahrhunderten.[4] Der Begriff selbst, aus dem Griechischen stammend, meint ursprünglich durch das Los bestimmte Amtsträger, erst mit Beginn des 3. Jahrhunderts etabliert sich die Bedeutung einer eigenen ‘Klasse’ von Inhabern kirchlicher Dienstämter wie Bischof, Presbyter, Diakon; doch auch Dienste wie Lektor, Subdiakon und Exorzist werden oft noch zum Klerus gezählt. Sie bilden in der Gesellschaft des römischen Reiches einen eigenen Stand, dem seit Kaiser Konstantin dieselben Privilegien zufallen wie dem Kultpersonal römischer Götter. Wie die jüngste Arbeit von Peter Brown ausführlich gezeigt hat,[5] verstand sich die Mehrzahl der Angehörigen dieses Standes bis zum Untergang des römischen Reiches vor allem als gesellschaftliche Gruppe mit bestimmten Privilegien und Pflichten, aber nicht zwangsweise als Elite mit ‘alternativer’ Lebensform oder Maskulinität – die Mehrzahl der Kleriker war verheiratet, hatte Familie im antiken Sinn und war in die komplexe spätrömische Sozialstruktur eingebunden.[6]

Der Status des ‘anderen’ Mannes, der im harschen Kontrast zu tradierten Konstruktionen römischer Männlichkeit stand, war das Projekt einer zahlenmäßig kleinen Elite. Diese Elite, zu der so bekannte Namen wie Ambrosius, Hieronymus und Augustinus, aber auch Paulin von Nola, Cassian und andere zählten, propagierte in ihren Texten jenes bis heute wirksame Narrativ des besonderen Mannes im Dienst Gottes. Zentraler Ideengeber hierfür war der Asket, wie er zunächst im östlichen Mittelmeerraum auftrat: Ein Mann, der jeder weltlichen Freude und Verpflichtung entsagte und einsam oder auch gemeinschaftlich in der Wüste lebte und sich ganz Gott widmete. Zu dieser radikalen Lebensform gehörte zentral die Absage an Sexualität, einerseits als Teil sozialer Verpflichtungen wie Ehe und Familie, aber auch als Rückkehr in einen paradiesischen Status vor dem Sündenfall. Peter Brown beschreibt diese Männer wie auch ihre Nachahmer im Westen sehr anschaulich als bleiche, ungewaschene Existenzen, die einen bewussten Kontrast zum gepflegten, durchtrainierten römischen Adeligen darstellten – wobei der Kontrast umso größer war, als die einflussreichsten Propagandisten des neuen Ideals einst selbst der Oberschicht angehört hatten.[7] Ursprünglich waren diese Asketen in der Wüste gerade keine Kleriker, also Männer mit Ämtern in sozialen Strukturen. Doch die prägenden Theologen der ausgehenden Antike verknüpften zunächst vor allem idealiter den Dienst als Kleriker mit der strengen Lebensführung des Asketen und kreierten so eine neue Elite. In dieser sollten alte männliche Tugenden wie Opferbereitschaft, militärische Disziplin und Führungsstärke durch neue christliche Tugenden der asketischen Lebensführung überhöht werden. Der Kleriker, wie ihn Ambrosius oder Augustinus imaginierten, war ein heterosexueller Mann, der auf seine Sexualität verzichtete, und ein Soldat, der seinen Körper und Geist in den Dienst der Kirche statt des Militärs stellte.

Diese neue klerikale Männlichkeit erwies sich in den folgenden Jahrhunderten als äußerst geeignet in mehrfacher Hinsicht: Die Kirche hatte Männer ohne familiäre Verpflichtungen und Ansprüche, diese wiederum durften sich als gesellschaftliche Elite über andere mächtige Männer (den Adel, ja sogar Kaiser und Könige) stellen und den intellektuellen Bereich weitgehend allein, den administrativen mindestens wesentlich gestalten. Wenn Georges Duby für das Mittelalter von einem Dreieck von ‘Ritter, Frau und Priester’[8] spricht, sind damit die beiden normativen Männlichkeitskonstruktionen des Abendlandes gut zusammengefasst. Gerade für das Mittelalter lässt sich beobachten, wie das neue, klerikale Männlichkeitsideal das ‘alte’ Ideal des  kämpfenden und erotisch aktiven Mannes zu verändern beginnt: Die Ritter der höfischen Epik sind zwar keine Asketen, aber Enthaltsamkeit im Dienst der einen verehrten Dame steht hoch im Kurs, die Erotik der Entsagung und zivilisierter Männlichkeit dieser Dichtung verdankt sich wesentlich klerikalen Verfassern wie dem Genre bildenden Chretien de Troyes.[9] Klerikale Männlichkeit ist über historisch weite Strecken die einzige litterate Männlichkeit und jene, die den Diskurs über Geschlecht und Geschlechterrollen bestimmt.

Noch einmal deutlicher wird die klerikale Männlichkeit als Sonderform mit ihrer Infragestellung durch die Reformation. Die reformierten Kirchen schaffen den Kleriker als geweihte, zölibatäre Existenz schlicht ab und ersetzen ihn durch die traditionelle Männlichkeit des pater familias, als Hausvater.[10] Katholische klerikale Männlichkeit wird von reformatorischer Seite als Fehlentwicklung, als falsche Männlichkeit gesehen und der Katholizismus insgesamt zur ‘verweiblichten’ Religion erklärt.[11] Dieses Bild des katholischen Klerikers als unmännlich und ‘weibisch’ und damit implizit homosexuell ist bis heute ein Teil des Diskurses über Kleriker. Mit der reformatorischen Kritik wird aus klerikaler Maskulinität als elitärer Form von Männlichkeit, in der sich ‘männliche’ Tugenden idealtypisch im Dienst an der Kirche verwirklichen und so auch die andere Maskulinität normieren können und sollen, eine fragile Männlichkeit, deren Geschlechtsidentität in Frage gestellt ist und einer kontinuierlichen Rechtfertigung bedarf. Dass diese Verunsicherung klerikaler Männlichkeit den katholischen Diskurs über Geschlechterrollen bis heute prägt, wird noch zu zeigen sein.


[4] Vgl. im Überblick Alexandre Faivre, ‘Art. Klerus, Kleriker’, in Lexikon für Theologie und Kirche, Band 6, 3. Auflage, Freiburg: Herder, 2006, 131–133.

[5] Peter Brown, Der Schatz im Himmel: Der Aufstieg des Christentums und der Untergang des römischen Reiches, übersetzt von Michael Bayer und Karin Schuler, Stuttgart: Klett-Cotta, 2017.

[6] Vgl. insbesondere Brown, Der Schatz im Himmel, Kap.15, S. 380–389.

[7] Vgl. Brown, Der Schatz im Himmel, S. 338.

[8] Georges Duby, Ritter, Frau und Priester: Die Ehe im feudalen Frankreich, Frankfurt: Suhrkamp, 1985.

[9] Vgl. Jacques Le Goff, Die Geburt Europas im Mittelalter, München: Beck, 22004, S. 79–85.

[10] Vgl. Albrecht Koschorke, Die Heilige Familie und ihre Folgen, Frankfurt: Fischer, 2000, S. 146–157.

[11] Vgl. Bernard Schneider, ‘Gesucht: Der katholische Mann: Die katholische Kirche in Deutschland und die Männerwelt im 19. und 20. Jahrhundert’, Trierer Theologische Zeitschrift, 2 (2014), 85–109.

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