4. Klerikale Männlichkeiten: Gegenwart und Zukunft

Der klerikale Mann als ‘anderer’ Mann ist zum Markenzeichen des katholischen Christentums geworden. Die Frage ist, ob die realen klerikalen Männer des 21. Jahrhunderts dieser Marke noch entsprechen (können und wollen). 

Klerikale Männlichkeit war historisch wie systematisch-theologisch bis vor wenigen Dekaden immer von abendländischen Traditionen und Entwicklungen bestimmt. Ihre Definition wurde auf andere Kontinente und Kulturen übertragen, ohne deren Geschlechterbilder zu berücksichtigen. Die zweite oder dritte Generation von Klerikern aus diesen Regionen sieht sich nun, kaum dass die katholische klerikale Maskulinität Teil ihrer Identität geworden ist, mit Geschlechterdiskursen der westlichen Welt konfrontiert, die diese in Frage stellen, und reagiert mit entsprechendem Unverständnis. In seiner geographischen und kulturellen Heimat ist der klerikale Mann indes binnen weniger Jahrzehnte zur bedrohten Spezies geworden, deren Lebensraum sich rapide gewandelt hat. Eugen Drewermann konnte noch 1989 vom ‘Psychogramm des Klerikers’[20] sprechen, dessen Identität in einem etablierten Standardprogramm über Jahrzehnte kollektiv geformt oder eben deformiert worden war. Dreißig Jahre später gibt es den klerikalen Mann als Archetypus, wie ihn Drewermann beschreibt, in der westlichen Welt nicht mehr. Der kollektiven Ausbildung klerikaler Männlichkeit vom Beginn der Pubertät weg stehen heute sehr differente individuelle Wege von oftmals längst erwachsenen Männern gegenüber, die ihren Weg in das Kloster oder Priesterseminar finden. Ihr Bild des Klerikers ist durch Einzelerfahrungen geprägt und aus historischen oder gar fiktional-medialen Bildern zusammengebastelt. Die Selbstverständlichkeit der Andersheit als zentraler leitender Teil der christlichen Gesellschaft ist einer singulären Andersheit als zitathafter Existenz gewichen. 

Die Frage nach dem Umgang mit der eigenen Maskulinität, lange Zeit in frommer metaphysischer Rhetorik umgangen, taucht in brutaler Deutlichkeit in der Anklage klerikaler Männlichkeit als selbst- und fremdgefährdender Männlichkeit auf: Muss ein Mann, der wesentlich über seine nicht ausgelebte Sexualität definiert und durch diese zum spirituellen Anführer stilisiert wird, nicht zwangsläufig zum sexuellen Gewalttäter oder psychischen Krüppel werden? Ist klerikale Männlichkeit eine besonders perfide Form toxischer Männlichkeit, die ihr Unvermögen im Umgang mit neuen Geschlechterrollenbildern hinter einer scheinheiligen Fassade versteckt?

Klerikale Männlichkeit ist eine historisch gewachsene Sonderform, die es lohnt, genauer zu betrachten. Sie hat den Diskurs über alternative Geschlechterrollen lange vor säkularen Theorien ermöglicht, sie hat aufgezeigt, dass Maskulinität mehr ist als aktive Sexualität und Herrschaft über Frauen und Kinder. Klerikale Männlichkeit hat Strukturen des Zusammenlebens jenseits der Familie geschaffen und war damit über Jahrhunderte erfolgreich. Just an dem Punkt der Geschichte, wo die westliche Welt, die eben diese klerikalen Männer wesentlich mitgeschaffen haben, die Ideen alternativer Männlichkeiten und Lebenswelten außerhalb der kirchlichen Strukturen in größerem Stil zu entwickeln beginnt, ist das Model klerikaler Männlichkeit in der Krise. Ein Schlüssel im Vergleich zu säkularen Formen neuer Männlichkeitskonzepte ist wohl das Verhältnis von Struktur und persönlicher (Geschlechts)identität. Eine mit erheblichen Anforderungen und Einschränkungen verbundene Form männlicher Identität kann heute kaum noch verpflichtende Voraussetzung für ein Amt sein. Schon gar nicht, und das ist wohl der zweite zentrale Punkt, für das ganze Leben. Identitäten sind fluide, und das in mehr als eine Richtung. Die Unumkehrbarkeit der wesenhaften Differenz des Klerikerdaseins macht Angst: Man(n) kann und wird sich verändern, neue Aspekte der eigenen Männlichkeit entdecken und alte ablegen (wie schon vor 1600 Jahren der heilige Augustinus). Und schließlich muss die Frage erlaubt sein, ob die Besonderheit, selbst wenn sie als ontologische Differenz begriffen wird, unbedingt im kryptognostischen Erbe der sexuellen Enthaltsamkeit liegen muss.   In Filmen und TV-Serien wird das Ablegen klerikaler Kleidung oft als Ablegen der klerikalen Identität inszeniert, beziehungsweise umgekehrt das Anziehen der Kleidung als bewusste Konstruktion dieser Identität wie in der eingangs zitierten Szene aus The Young Pope. Die spannende Frage, die uns diese Szenen stellen, lautet, ob und wieviel Kleriker bei dem Mann in Alltagskleidung oder gar ohne Kleidung noch übrig bleibt. Für eine Neudeutung klerikaler Männlichkeit wäre es hilfreich, das Eingangszitat aus dem Jahr 1969 abzuwandeln: Ein Priester ist auch ein Mann. Er kann etwas weniger… oder etwas mehr sein. Je nachdem.


[20] Eugen Drewermann, Kleriker: Psychogramm eines Ideals, Olten: Walter, 1989.



Autor

Theresia Heimerl, Studien der Deutschen und Klassischen Philologie und Katholischen Theologie in Graz und Würzburg, seit 2003 ao. Professorin für Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät in Graz. Arbeitsschwerpunkte: Europäische Religionsgeschichte, Körper-Gender-Religion, Religion und Film/TV.

Adresse: Institut für Religionswissenschaft, Heinrichstrasse 78, A-8010 Graz, Austria.

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