2017 ist das Jahr des 500. Geburtstags der Reformation. DerLutherische Weltbund (LWB) als eine Gemeinschaft von Kirchen wird diesen wichtigen Meilenstein in der Geschichte der lutherischen Kirchen auf seiner zwölften Vollversammlung in Windhoek-Namibiaunter dem Leitwort „Befreit durch Gottes Gnade“ feiern. Der Weg hin zur 500-Jahr-Feier ist auch eine Gelegenheit sich zu vergewissern, wo die Gemeinschaft in einigen ihrer zentralen Selbstverpflichtungen steht, wie Inklusivität, wechselseitige Verbindlichkeit und Erneuerung im Geist der Reformation, für die gilt: semperreformanda.[1]
Dieser Artikel basiert auf einer Untersuchungim Lutherischen Weltbund zur Frage der Teilhabe von Frauen amordinationsgebundenen Amt und an Leitungsaufgaben in den Mitgliedskirchen des LWB, diein den Jahren 2015 und 2016 durchgeführt wurde.[2] Der LWB ist eine Gemeinschaft von 145 Kirchen in 90 Ländern und sieben Weltregionen: Afrika, Asien, Lateinamerika und Karibik, Nordamerika, Osteuropa, Westeuropa und Nordische Länder.[3]
Für die Untersuchung wurde ein Erhebungsbogen an alle Mitgliedskirchen geschickt. Darin wurde gefragt nach dem aktuellen Stand bzw. die Praxis in Bezug auf die Teilhabe von Frauen am ordinationsgebundenen Amt, nach dem Zeitpunkt, wann die Entscheidung dafür getroffen wurde, nach Erinnerungen an die ersten ordinierten Frauen in der jeweiligen Kirche, nach der Verwendung von Quoten, um eine Gender-Balance im Bereich der Leitungsaufgaben zu erreichen, und bei den Kirchen, die (noch) keine Frauen ordinieren, nach den Hauptgründen für diese Praxis.
Einige grundlegende statistische Angaben: von den 145 Mitgliedskirchen, die den Erhebungsbogen erhielten, nahmen 83 Kirchen Stellung, was einem Prozentsatz von 57 % entspricht Die folgende Analyse basiert auf diesen Angaben; sie umfasst eine Mehrzahl der Mitgliedskirchen, aber nicht deren Gesamtheit. Die dargestellten Herausforderungen, Überlegungen und möglichen Schlussfolgerungen sind in diesem Sinne begrenzt; der Überblick ist aber trotzdem sehr repräsentativ in Bezug auf Regionen, Größe, Konstitution und Strukturen in der Vielfalt der zur Gemeinschaft gehörenden Kirchen. Festzuhalten ist allerdings, dass in einer internationalen Organisation wie dem LWBimmer auch spezifische Besonderheiten gegeben sind.
Die in diesem Beitrag dargestellten Diskussionen erheben nicht den Anspruch in irgendeiner Form abschließend zu sein oder einen allgemeinen Schlussstrich für alle Mitgliedskirchen zu ziehen. Im Gegenteil, die LWB-Mitgliedskirchen sind in der Reformationsbewegung verwurzelt, zu der eine Theologie gehört, die auf Freiheit und Gnade gegründet ist. Erlösung/Heil ist eine Gabe Gottes und den Menschen, Frauen wie Männer, aus Glauben allein, aus Gnade gegeben. Dies ist das Herz der lutherischen Theologie; dies ist es, was Frauen und Männer motiviert, sich auch weiterhin für die Erneuerung der Kirche in ihren Strukturen, ihrer Theologie und ihrer Praxis einzusetzen. Darin weht der Geist der weitergehenden Reformation, der in einem biblischen Verständnis von Gerechtigkeit gründet und die Vielfalt der Gaben in den Kirchen umfasst.
Die Herausforderung bleibt bestehen, Frauen in Leben, Amt und Sendung der Kirchen vollständig zu integrieren und sie darin anzuerkennen. Einige Kirchen praktizieren noch keine Ordination von Frauen ins pastorale Amt, andere ordinieren, nehmen aber nicht die notwendigen Veränderungen in ihren Strukturen vor, so dass Frauen ihre Gaben und Talente optimal im Dienst der jeweiligen Kirche entfalten könnten. Gendergerechtigkeit als ein genuin biblisches und theologisches Konzept anzusehen und es in das Verständnis von Theologie und Kirchenstrukturen zu integrieren ist immer noch nicht selbstverständlich.
Im Jahr 2013 hat der LWB ein Grundsatzpapier zu Gendergerechtigkeit verabschiedet. Die Definition von Gendergerechtigkeit für den LWB „beinhaltet den Schutz und die Förderung der Würde von Frauen und Männern, die als Ebenbilder Gottes gemeinsame Verantwortung als Haushalter/innen der Schöpfung tragen. Gendergerechtigkeit wird durch Gleichstellung und ausgewogene Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern verwirklicht, sowie durch die Überwindung institutioneller, kultureller und zwischenmenschlicher, Diskriminierung zementierender Systeme, die von Privilegierung und Unterdrückung bestimmt sind.”[4]
Ein Grundsatzpapier für die Gemeinschaft artikuliert Werte und einen Rahmen für die Ausrichtung in diesem Handlungsfeld. Damit wird der Prozess einer Implementierung der Prinzipien angestoßen, wobei ein kontextueller Zugang zu den biblischen und theologischen Grundlagen gewählt ist und dadurch Gendergerechtigkeit ein Thema mit hoher Priorität für die Programmarbeit der Gemeinschaft wie auch für die Struktur und die organisatorischen Einrichtungen der Mitgliedskirchen wird.
Einige der statistischen Daten verweisen auf Herausforderungen, wo es um die Umsetzung des Prinzips der Gendergerechtigkeit in Leben und Organisation der Mitgliedskirchen geht, aber vor allem wird deutlich, dass Möglichkeiten bestehen, über Vorurteile, Intoleranz und kulturelle Traditionen hinauszukommen, die einer vollen Partizipation von Frauen in den Kirchen abträglich sind.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Prinzipien des Grundsatzpapieres zu Gendergerechtigkeit und der Praxis, Frauen in das ordinationsgebundene Amt zu integrieren. Er besteht darin, dass in Kirchen, in denen Frauen vollen partizipatorischen Zugang zum ordinationsgebundenen Amt haben, die gesamte Diskussion um die Implementierung von Genderperspektiven mehr Raum hat. Zwar sind Frauen nicht die „natürlichen“ Akteurinnen dafür, Genderperspektiven über eine bloße Diskussion hinaus in Richtung Implementierung voranzutreiben, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass dort, wo Strukturen inklusiver, partizipatorischer und integrativer werden und Frauen Amtsträgerinnen sein können, auch eine größere Offenheit besteht, Genderrollen neu zu definieren, die normalerweise nach festen kulturellen Normen und Stereotypen konstruiert sind. Wo es die offene Vorstellung gibt, dass Frauen Rollen ausfüllen, die historisch gesehen Männern zugesprochen wurden, wie Verwaltung der Sakramente von Abendmahl und Taufe, dort ist höchst wahrscheinlich auch fruchtbarer Grund dafür vorhanden, Rollen für Frauen wie für Männer in allen Lebensbereichen neu zu definieren.
Frauenordination ist nicht das einzige Anzeichen dafür, dass sich in einer Kirchedie Gendergerechtigkeit in einem praktischen Prozess befindet, aber sie ist sicher ein sehr wichtiger Schritt dorthin und öffnet einen Raum, wo Veränderungen möglich sind, Entwicklungen hin zu stärkerer Inklusivität begrüßt werden und man an solchen Veränderungen arbeitet.
[1] Vgl. zum 500. Reformationsjubiläum: : https://2017.lutheranworld.org.
[2] Der gesamte Bericht wird demnächst zugänglich sein unter:https://wicas.lutheranworld.org/resourcesbzw. https://wicas.lutheranworld.org/content/womens-ordination-survey-141.
[3] Vgl. https://www.lutheranworld.org/content/communion und weiteres unter https://www.lutheranworld.org/content/member-churches.
[4] Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB, 7. Das Gesamtdokument ist zugänglich unter https://www.lutheranworld.org/content/resource-lwf-gender-justice-policy (englisch) bzw. auf deutsch unter https://www.lutheranworld.org/sites/default/files/DTPW-WICAS_Gender_Justice-DE.pdf.
Überlegungen und Bewegungen in Leitungsgremien der lutherischen Gemeinschaft in Richtung Inklusivität und Förderung von Frauen in Leitungspositionen haben eine längere Geschichte. 1984 hat die siebte Vollversammlung in Budapest (Ungarn) eine wegweisende Entscheidung zur Partizipation von Frauen gefällt. Diese Entscheidung, mit der Mauern des auf kulturellen und theologischen Gründen basierenden Ausschlusses durchstoßen wurden, ist die Quotenregelung, mit der mindestens 40%Beteiligung (bzw., wo Frauen stärker vertreten sind, von Männern) und 20 % Beteiligung von jungen Leuten in Versammlungen und Entscheidungsgremien sichergestellt wurde.Diese historische Entscheidung wurde auf der elften Vollversammlung in Stuttgart (Deutschland) erneut bestätigt und um eine Resolution erweitert, die eine detailliertere Implementierung der Quotenregelung in der Kirchengemeinschaft sicherstellte.[5] Diese Entscheidungen und Resolutionen gelten als leitend für den LWB.[6]
Um die Umsetzung dieser Quotenregelungan der Basis zu überprüfen, wurden in der Erhebung die Mitgliedskirchen nach ihren eigenen Instrumenten und Regelungen gefragt, die eine faire und gerechte Partizipation von Frauen in den Entscheidungsgremien einer lokalen Kirche sicherstellen. Die Frage, die eine gleiche oder ausgewogene Präsenz und Teilhabe von Frauen und Männern betraf, war die folgende: Hat Ihre Kirche eine Quotenregelung? 81 der 83 Kirchen, die sich an der Erhebung beteiligt hatten, beantworteten die Frage. 28% bejahten sie und bestätigten damit, dass ein Mechanismus bzw. ein politisches Instrument vorhanden ist, mit dem reguliert und sichergestellt wird, dass Frauen in gerechter Weise Teil der maßgebenden Entscheidungsgremien sind. Die vor Ort gegebenen Instrumente sind unterschiedlich. Einige Kirchen haben entsprechende Artikel in ihrer Verfassung, andere haben eigene Regelungen, die genauer die Methode der Implementierung solch ausgewogener Teilhabe von Frauen und Männern bestimmen. Einige Kirchen vor allem in den nordischen Ländern folgen der staatlichen Gleichstellungspolitik.
72 % der Kirchen, die sich an der Erhebung beteiligt haben, besitzen keine Quotenregelung oder ein ähnliches Instrument. Manche der dafür angegebenen Gründe bewegen sich in dem Feld der Einschätzung, das auch allgemein anzutreffen ist, dass nämlich keine besonderen Maßnahmen erforderlich sind, weil Frauen und Männer doch von den gleichen Rechten in der Gesellschaft im Allgemeinen profitieren; Frauen und Männer haben die gleichen Chancen in der Gesellschaft, und die Kirche entspricht dieser Kultur des gleichen Zugangs zu Chancen. In manchen Fällen sind die Kirchen zu klein, um Partizipation nach Genderkriterien aufzugliedern; in wieder anderen sind Frauen die Mehrheit der Kirchgänger, so dass ihre führende Rolle in diesem Bereich keine Frage mehr ist.
Im Blick auf diese zuletzt genannte Erklärung wird deutlich, dass die Quotenregelung noch immer sehr stark als ein Instrument verstanden wird, die Partizipation speziell von Frauen abzusichern. Im Fall einer Frauenmehrheit wäre aber die Partizipation von Männern abzusichern, was eine Herausforderung darstellt, weil in den meisten der hier in Frage stehenden Fälle Männer nicht anwesend sind. Während Frauen regelmäßige Kirchgängerinnen sind, nehmen Männer im Großen und Ganzen nicht in der gleichen Intensität am gottesdienstlichen Leben teil.
[5] LWF-Eleventh-Assembly-Report-EN (vgl. dort S. 55-56)
[6] Carl H.Mau (ed.), Budapest 1984. ‘In Christ–Hope for the World.’ Proceedings of the Seventh Assembly, LWF Report 19/20 (Geneva: The Lutheran World Federation, 1985), 224.
In der Kirchengemeinschaft des LWB gibt es einen beständigen follow-up-Prozess in Bezug auf die Entscheidung Frauen zu ordinieren, ein Prozess, der über die hier besprochene Untersuchung hinausgehtund in der Programmarbeit vom Büro der Kirchengemeinschaft in Genf ausdurchgeführt wird. Grundsätzlich umfasst dieser Prozess neben statistischer Erhebungen die enge Zusammenarbeit mit Kirchenleitenden und Frauen im Netzwerk der Gemeinschaft. Zu solcher Begleitung gehören Visiten und Gespräche über Frauen in Führungspositionen und im ordinationsgebundenen Amt, daneben auch ganz praktische Fragen der Änderungen in den Kirchenstrukturen, die notwendig werden, wenn Frauen als Pastorinnen integriert werden sollen. Im Zuge dieser Begleitung wurden einige statistische Daten bekannt: von den 145 Mitgliedskirchen sind es 26, die noch keine Frauen ordinieren. In der regionalen Verteilung sind dies 9 Kirchen von 31 in Afrika, 13 von 54 in Asien, 4 von 16 in Osteuropa.
Das bedeutet, dass 82% der Mitgliedskirchen der Frauenordination positiv gegenüberstehen oder im Prinzip Frauen im ordinationsgebundenen Amt akzeptieren. Einige Kirchen sind darunter, die mit der Ordination noch nicht begonnen haben, in denen es aber Frauen gibt, die Theologie studieren oder auf die baldige Übernahme des ordinationsgebundenen Amtes vorbereitet werden.
Das Hauptthema der Untersuchung – der Sachstand in den Kirchen, was Frauen im ordinationsgebundenen Amt betrifft – wurde in einer Reihe von Fragen angesprochen. Eine der Fragen lautete: Wann wurde in Ihrer Kirche die Entscheidung getroffen, Frauen zu ordinieren? Dazu wurde dann nach den Namen der ersten ordinierten Frauen gefragt. Andere Fragen: Wie viele Frauen und wie viele Männer üben derzeit das Amt von Wort und Sakrament in Ihrer Kirche aus? Welche Ämter/Funktionennehmen ordinierte Frauen wahr? Beauftragt Ihre Kirche Frauen und Männer für andere Ämter/Dienste? Gibt es Funktionen, die in Ihrer Kirche Frauen nicht offenstehen?
In Afrika und in Asien hat die Mehrzahl der Mitgliedskirchen in den 1980er Jahren damit begonnen, in der Frage der Frauenordination konkrete Schritte zu unternehmen. In Osteuropa erstreckt sich dieser Anfangsprozess auf eine längere Zeitspanne, von 1944 bis in die 1970er Jahre. In Lateinamerika und der Karibik sowie in Nordamerika wurde 1970 begonnen, während eine größere Gruppe von Kirchen in den 1980er und 1990er Jahren folgte. In den nordischen Ländern lag der Beginn sogar schon im Jahr 1958.
Was die ersten ordinierten Frauen betrifft, so zeigte die Umfrage, das Westeuropa die Pionierregion war. Eine der ersten Registereinträge fand sich für die Evangelisch-Lutherische Kirche in den Niederlanden, wo am 17. November 1929 eine Frau, Jantine Auguste Haumersen, zur Pastorin ordiniert wurde.[7] Lutherische Kirchen in Deutschland begannen in den 1930er Jahren mit der Frauenordination (erster Registereintrag der an der Umfrage beteiligten Kirchen 1938); in größeren Zahlen in den 1940 Jahren. Einige folgten in den 1970 und 1980er Jahren. Für Osteuropa zeigte die Umfrage, dass Margit Jarosi von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien eine der ersten ordinierten Frauen war (1944).
Einige weitere Namen von Pionierinnen seien, geordnet nach Regionen, genannt: Die Japanische Evangelisch-Lutherische Kirche entschied 1969, die Frauenordination zuzulassen, und ordinierte 1970 mit Seiko Kadowaki die erste Frau. In Lateinamerika und der Karibik waren drei Kirchen bahnrechend, was die Integration von Frauen ins ordinationsgebundene Amt betrifft: Im Kirchenrat der Evangelischen Kirche lutherischer Konfession in Brasilien wurde die Angelegenheit seit 1970 diskutiert. Die erste Frau, die mit dem Dienst der Pastorin einer Gemeinde beauftragt wurde, nachdem sie ihr Theologiestudium beendet hatte, war Rita Panke (1976), und die erste, die ordiniert wurde, war 1983 Edna Moga Ramminger. Die Evangelische Kirche Rio de la Plata in Argentinien traf die entsprechende Entscheidung 1974 und ordinierte Silvia Ramires 1983. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Guyana bestätigte 1977 die erste Kandidatin als Theologiestudierende in Vorbereitung auf das mit Ordination verbundene pastorale Amt, wenn auch die erste Ordination erst einige Zeit später, 1996, aufgrund einer Studienunterbrechung der Kandidatinnenstattfand.
Die zwei Mitgliedskirchen in Nordamerika trafen ihre Entscheidung und ordinierten die erste Frau in den 1970ern: Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika ordinierte Elisabeth Platz und Barbara L. Andrew 1976; die Evangelisch-Lutherische Kirche in Kanada folgte 1976 mit Pam McGee. In Afrika war die erste Frau, die Theologie studierte, Alice Kabugumila aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Tansania; sie wurde 1969-1973 am damaligen Makumira Theological College zugelassen. Zwar begann ihre Kirche dann 1990 mit der Frauenordination, aber die Entscheidung wurde in jeder Diözese einzeln getroffen, und deshalb ist ihre Geschichte ein besonderes Beispiel der Ausdauer: Sie musste 33 Jahre lang warten, bis ihre Ordination im Jahr 2006 stattfinden konnte.
Ein Charakteristikum der Anfänge der Präsenz von Frauen im pastoralen Amt in Westeuropa besteht darin, dass Ordination nicht das gleiche meinte wie heute. Es gab mehrere Formen und Methoden, Frauen dazu zu befähigen, das pastorale Amt auszuüben. Es gibt Beispiele von Kirchen, die in der ersten Periode (ab 1928) Frauen durch bloße Handauflegung als „Assistenzpastorinnen“ (Vikarinnen) einführten oder eine Ordination ins pastorale Amt mit bestimmten Restriktionen verbanden. Da das Modell des Pastorenamtes ein klar männliches war, mussten Frauen sich anpassen, um hineingenommen zu werden. Das Modell änderte sich nicht, aber neue Akteurinnen wurden „eingebaut“. Eine weitere Studie wäre nötig um herauszufinden, inwiefern das Pastorenamt sich durch die Hineinnahme von Frauen veränderte. Was bringen Frauen ins Pastorenamt an neuer Praxis, an Unterschieden ein? Was verändert sich in der Kirche wenn Frauen vollumfänglich am kirchlichen Leben und am Amt teilhaben?
Was die Anzahl von Frauen im ordinationsgebundenen Amt betrifft, so zeigt die Umfrage eine große Vielfalt und auch Schräglagen in den einzelnen Regionen. Die in die Umfrage eingeschlossenen Kirchen der nordischen Länder bieten eine sehr ausbalancierte Situation mit der gleichen Anzahl von Frauen und Männern. In Afrika und Asien, wo man mit der Frauenordination erst nach 1980 begann, sind Männer im Pastorenamt weitaus in der Überzahl. Dagegen ist eine Tendenz hin zu mehr Ausgeglichenheit in Lateinamerika, Nordamerika, West- und Osteuropa zu beobachten.
Einige präzisierende Überlegungen zu den Kirchen, deren Antwort lautete, sie ordinierten Frauen (noch) nicht, sind notwendig. Von den 26 hier betroffenen Kirchen der Gemeinschaft nahmen 9 an der Untersuchung teil. Alle bestätigten, dass das Thema diskutiert werde. Nur eine Kirche antwortete, dass die Diskussion in die Richtung gehe, eine neue Regulierung einzuführen mit der Frauen der Zugang zum ordinationsgebundenen Amt formal verschlossen werde. Die Gründe dafür, Frauen (noch) nicht zu ordinieren, stützen sich mehr oder weniger ähnlich auf biblische Auslegungen und theologische Verständnisse des Amtes. Dass der kulturelle Kontext als Bezugsrahmen für Gründe, das Pastorenamt auf Männer zu beschränken, eine wichtige Rolle spielt, wenn man Frauen nicht gestattet, Pastoren oder Bischöfe ihrer Kirche zu werden, wurde anerkannt.
Eine besondere Situation innerhalb der Kirchengemeinschaft des LWB ist in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Lettland gegeben. Diese Kirche begann 1975 mit der Frauenordination, hat diese Praxis jedoch seit 1993 unterbrochen. 2016 wurde eine Resolution verabschiedet, wonach die Kirchenverfassung dahingehend geändert wurde, dass nur Männer ordiniert werden können. Der Rat des LWB hat auf seiner Versammlung in Wittenberg im Juni 2016 seinerseits eine Resolution verabschiedet, die Betroffenheit ausdrückt über diesen Schritt rückwärts auf einem Weg, auf dem die ganze Gemeinschaft unterwegs ist.[8]
Was ist gemeint, wenn die Kirchengemeinschaft des LWB vom Konzept des „ordinationsgebundenen Amtes“ spricht?[9]
„Lutheraner haben keine Theologie des weiblichen Amtes und brauchen auch keine zu entwickeln. Wir haben eine Theologie des ordinationsgebundenen Amtes, entfaltet in Relation zu einem Verständnis des Amtes des ganzen Gottesvolkes und gegründet im reformatorischen Verständnis der Rechtfertigung durch den Glauben.”[10]
Diese grundlegende Aussage kommt von einer Studiengruppe zu „Amt, Frauen, Bischöfe“ und ist ein Ausgangspunkt, um das Thema „Amt“ zu diskutieren.
Das Dokument “Das bischöfliche Amt im Rahmen der Apostolizität der Kirche – Die Erklärung von Lund” formuliert eine Sicht der Kirchengemeinschaft auf das ordinationsgebundene Amt:[11]
„36. Durch die Taufe werden Menschen in das Priestertum Christi und damit in die Sendungder ganzen Kirche eingeführt. Alle Getauften sind dazu berufen, an Gottesdienst (leiturgia),Zeugnis (martyria) und Dienst (diakonia) teilzunehmen und die Verantwortung dafür mit zutragen. Die Taufe selbst überträgt jedoch keinordinationsgebundenes Amt in der Kirche. …
37. Das ordinationsgebundene öffentliche Amt von Wort und Sakrament gehört zu denGaben, die Gott der Kirche verliehen hat und die wesentlich sind, damit die Kirche ihre Sendungerfüllen kann. Durch die Ordination werden Auftrag und Vollmacht zur öffentlichenVerkündigung des Wortes Gottes und zur Verwaltung der heiligen Sakramente verliehen. …
38. …Als Ergänzung zum Dienst des ordinationsgebundenen Amtessegnen und beauftragen Kirchen bisweilen Laien, damit sie bestimmte Aufgaben übernehmen, die auch zu jenem Amt gehören können. Der Dienst in solchem Auftrag verkörpert bestimmte Aspekte des Amtes der ganzen Kirche.”
Der Lutherische Weltbund unterstreicht die Selbstverpflichtung, Inklusivität als einen zentralen Wert (corevalue) aufzufassen. Vollversammlungen des LWB und Ratsversammlungen, die maßgebenden Entscheidungsgremien des LWB, haben offiziell und auf transparente Weise entschieden, die Gabe der Frauen im ordinationsgebundenen Amt als einen besonderen Wert anzusehen, der in der gesamten Gemeinschaft zu fördern ist. Seit der siebten Vollversammlung 1984 in Budapest (Ungarn) wurde über fünf aufeinanderfolgende Vollversammlungen (bis zur elftenVollversammlung 2010) immer wieder das ordinationsgebundene Amt für Frauen bekräftigt. Ein Abschnitt der Resolution von 1984 bestimmt den Geist für alle folgenden:
„…die LWB-Mitgliedskirchen, die keine Frauen ordinieren, aufzufordern, dazu konstruktive Schritte zu ergreifen; die Mitgliedskirchen, die Frauen ordinieren, aufzufordern, dass sie Leitsätze aufstellen, die Frauen gleiche Möglichkeiten zum Dienst und vergleichbare Leistungen gewährleisten.”[12]
Einige Hauptargumente werden immer wieder genannt, mit denen der Präsenz und der Gabe von Frauen im ordinationsgebundenen Amt widerstanden wird. Eines davon bezieht sich auf die Bibel und hier auf eine spezifische (und stark umstrittene) Interpretation der Autorität der Bibel, um Verbot und Ausschluss der Frauen vom ordinationsgebundenen Amt zu legitimieren. Texte wie 1 Kor 14,33b-35 – Frauen sollen in der Gemeinde schweigen – und 1 Tim 2,11-14 – die Frau würde getäuscht und übertrat das Gebot – werden herangezogen, um die Unterordnung der Frauen zu rechtfertigen, so dass sie infolgedessen als nicht in der Lage gelten, das ordinationsgebundene Amt auszuüben.
Für das lutherische Bekenntnis steht Christus im Zentrum aller Auslegung – jede Auslegung soll sich darauf richten, was Christus verkündigt, was Fülle an Leben, Freiheit und Gerechtigkeit bringt. Die Verkündigung von Schweigen und Unterordnung für Frauen ist kein Wort der Gerechtigkeit; vielmehr erhebt es die Ungleichheit in den Status von Heiligkeit.
„Wir haben eine kulturelle Neigung, die Bibel wörtlich zu nehmen. Im Lauf der christlichen Tradition war das nicht immer so; man könnte sogar behaupten, das ein wörtliches Verständnis der Bibel nicht mit der Tradition übereinstimmt … Obwohl viele von uns die Schrift unmittelbar zitieren, so ist es doch für die theologische Methode aus einer lutherischen Perspektive die Klarheit darüber wichtiger, dass die Zusage von Gottes Gnade für unser gemeinsames theologisches Arbeiten zentral ist.”[13]
Andere Bereiche, die in der Diskussion um die Frauenordination zu problematisieren sind, liegen in den theologischen Grundlagen. Das Priestertum aller Gläubigen ist eine der Grundlagen der Lehre, die sich nicht ausschließlich auf das ordinationsgebundene Amt beziehen, sondern auf das Amt im Allgemeinen, das auf der Taufe gründet. Die Taufe ist die Grundlage, die Frauen die Berufung ermöglicht, sich als Jüngerinnen zu engagieren und das Evangelium als ordinierte Amtsträgerinnen zu verkünden.
„Viele Kirchen, in denen Frauen ordiniert werden, erkennen dies heute als einen Aspekt ihrer lutherischen Identität an. Es ist eine theologisch begründete Konsequenz aus dem lutherischen Verständnis von Kirche und Amt. Indem er darauf bestand, dass jede getaufte Person eine direkte Beziehung zu Gott besitzt und am priesterlichen Charakter von Gottes Volk teilhat, hat Martin Luther die geistliche Hierarchie überwunden, die dazu neigte, die Berufung der Ordinierten über die anderer Kirchenmitglieder zu stellen. Dies eröffnete die Möglichkeit, alle Personen mit entsprechenden Begabungen in das öffentliche Amt der Kirche aufzunehmen, wo es um praktische Erwägungen (wie Zugang zur theologischen Ausbildung) ging. Nichts in den lutherischen Bekenntnissen schließt Frauen explizit vom ordinationsgebundenen Amt aus. Was dagegen mit der lutherischen Tradition übereinstimmt ist eine Kirche, die sich dem Wandel gegenüber offen zeigt und kontinuierlich die Reformation weitertreibt (ecclesia reformata semper reformanda est secundum Verbum Dei).”[14]
Ein Schritt besteht darin, dass Frauen vollumfänglich zum ordinationsgebundenen Amt zugelassen werden; eine andere Herausforderung im gleichen Problemfeld, aber mit etwas anderer Ausrichtung betrifft die Frage, wie Frauen ein Amt ausfüllen können, das nach wie vor sehr männlich geprägt ist. In anderen Worten: wie kann sie, wenn sie einmal im Amt ist, dieses Amt in Würde und in ihr angemessener Weise ausüben? Es ist nicht einfach, dem Ruf Gottes ins ordinationsgebundene Amt treu zu bleiben, wenn kulturelle und historische Traditionen stark auf androzentrischen bzw. patriarchalen Voraussetzungen aufbauen.
Frauen in das ordinationsgebundene Amt der lutherischen Kirchengemeinschaft zu integrieren ist keine “Frauensache”, sondern eine “Sache der Kirche”; es ist eine Weise zu verstehen, wie die Kirche Zeugnis ablegt und die Gesellschaft verändern will, wie die Kirche ihre prophetische Aufgabe ernstnehmen will, hierarchische und ausschließende Strukturen in offene, gastfreundliche Räume für das ganze Volk Gottes zu verwandeln. Es ist eine Sache der Gerechtigkeit.
[9] Einige der hier angebotenen Überlegungen finden sich (auf deutsch) auch in: Godi_Materialheft_2014_01082014_II.pdf (S. 28ff)
[10] The Lutheran World Federation.Ministry, women, bishops. Report of an international consultation, LWF Studies, Geneva, 1993, S. 12.
[11] The Episcopal Ministry within the Apostolicity of the Church – The Lund Declaration, LWF, Geneva, 2007, p.17. SeeEpiscopal Ministry (English); and The Lund Statement German
[12] LWF Report February 1985 No 18/20 – Proceedings of the Seventh Assembly “In Christ we Hope”, page 227.
[13] STREUFERT, Mary J. (ed.) Transformative Lutheran Theologies. Feminist, Womanist, and Mujerista Perspectives. Fortress, Minneapolis, 2010, p. 8.