Regina Ammicht-Quinn – « Ein feste Burg ist unser Gott »

1. Sicherheit und Religion

Sine cura – die Sorgenfreiheit und Seelenruhe – bestimmt die securitas im ersten Jahrhundert v. Chr. Der Neologismus wird Cicero zugeschrieben, der hier in stoischer Tradition ataraxia, die Unerschütterlichkeit, und apathia, die Freiheit von Leidenschaften verbindet. Nicht erst bei Seneca, sondern auch schon für Cicero ist securitas das Ziel philosophischer Lebenskunst: „Sicherheit nenne ich jetzt die Freiheit von Kummer, worin eben das glückliche Leben besteht.“[1] Wenig später schon aber wandert securitas in den politischen – oder den politisch-ökonomischen – Bereich ein, und die personifizierte Securitas findet sich auf römischen kaiserlichen Münzen. Ist also Sicherheit eine innere Haltung? Oder ist Sicherheit das, was der Herrscher, der König den Untertanen gewährt? 

Bis in die Neuzeit hinein ist „Sicherheit“ ein mit Religion verbundenes Thema. Sicherheit gilt als Geschenk von Gott, den Göttern, der Natur, dem Schicksal. „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“, heißt es dann. Luther schrieb diesen Choral gegen Ende der 1520er Jahre und schuf damit eine deutsche Nachdichtung zu Psalm 46: „Gott ist unsere Zuversicht und unsere Stärke“. Für den Protestantismus hat das Lied große Symbolkraft; Heinrich Heine nannte es die „Marseiller Hymne der Reformation[2]. Für Luther selbst ist das Lied Ausdruck einer apokalyptischen Weltsicht – Gott und Teufel liegen im kosmischen Kampf. Christus bringt den Teufel zu Fall, „[d]er Gläubige bleibt passiver, staunender Beobachter“[3]. Religion zeigt sich hier in einem architektonischen Bild: Gott ist nicht nur ein Haus, das Heimat bedeutet, sondern eine Burg, die Sicherheit bietet – allem voran Sicherheit vor dem Feind, Angriffssicherheit. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird das Kirchenlied zunehmend nationalistisch gelesen und gesungen. 1871 verarbeitete Richard Wagner den Choral in seinem „Kaisermarsch“, einer Komposition zur Feier des auf Blut und Krieg neu gegründeten Deutschen Reichs.[4] Im von Goebbels in Auftrag gegebenen nationalsozialistischen Monumentalfilm „Der große König“ (1942) wird die Melodie für eine Anspielung auf Hitler gebraucht („den Gott hat fest erkoren“).[5]

Ein solcher Kontextwechsel von religiösen in nicht-religiös definierte Bereiche ist ein besonderes Kennzeichen der Sicherheit. Was wir heute als Sicherheitstechnologien kennen – in Form von Schutz- und Überwachungstechnologien, aber auch als Roland Reagans fantasievolles Raketenabwehrprogramm – gibt es schon in den christlichen Symbolsystemen. Hier hat beispielsweise die christliche Ikonografie des Hochmittelalters sogenannte Schutzmantelmadonnen hervorgebracht[6]: In den Bildern breitet Maria ihren Mantel über den Schutzsuchenden aus, während vom Himmel Pfeile herabregnen, die manchmal auch von Gottvater selbst abgeschossen werden. Der Mantel ist eine hoch funktionale Sicherheitstechnik, denn die Pfeile können den Menschen unter dem Mantel nichts anhaben. In den religiösen Schutzmantelbildern zeigt sich aber zugleich ein exkludierendes und regressiv-sexualisiertes Moment: Nicht nur haben die Menschen unter dem Mantel sich ihre Sicherheit verdient – sie sind häufig Kirchenstifter und Heilige; sie sind auch klein genug, um in größerer Zahl unter den Mantel der Großen Mutter zu passen und dabei tendenziell nicht nur am Rockzipfel, sondern unter dem Rock verortet werden. 

Sicherheit also ist ein zentrales Thema des Glaubens – bei umstrittener Rolle der Gläubigen. Diese Gläubigen zeigen sich zunächst als völlig passiv; dennoch wird eine Leistung von ihnen benötigt, in diesem Fall eine Glaubensleistung. 

Und diese Leistung führt dann in die Neuzeit. Heute verstehen wir Sicherheit vor allem als ein Produkt menschlichen Handelns. Sicherheitshandeln, doing security, geschieht auf dem Hintergrund von Wahrscheinlichkeits- und Risikoberechnungen, die auf Prävention, Kontrolle und Abwehr zielen.[7]Zugleich ist heute „Sicherheit“ keineswegs ein säkularisierter Diskurs: „Vorsäkulare“ Verständnisse von Sicherheit werden nicht einfach durch wissenschaftlich durchdachte, politisch reflektierte, ökonomisch analysierte und subjektiv angeeignete „säkulare“ Verständnisse von Sicherheit ersetzt. Unterschiedliche Phasen, Schwerpunkte und Begriffe lösen sich nicht ab, sondern bilden ein diskursives und lebensweltliches Feld, in dem alle Bedeutungsebenen auch zu unterschiedlichen Zeiten wieder in den Vordergrund treten können. Gesellschaftliche Sicherheitsdiskurse sind damit Teil der „mutiple modernities“[8] und tragen, häufig verdeckt, eine Geschichte mit sich, in der Sicherheit in Schicksals-Diskurse oder in religiöse Diskurse über Glaubens- und Erlösungssicherheit eingebunden war.


[1] Cicero (2008): Tusculanae disputationes/Gespräche in Tusculum: Lateinisch/Deutsch. Übers. v. Ernst A. Kirfel. Stuttgart: Reclam, 5,42.

[2] Heinrich Heine (1834): Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland. In: Der Salon. Zweiter Band. Hoffmann und Campe, Hamburg 1834, S. 80.

[3] Burkhard Weitz (2016): Ein fest Burg ist unser Gott. In: Chrismon, 2.11.2016.

[4] Vgl. ebd. 

[5] Vgl. ebd.

[6] Vgl. dazu: Regina Ammicht Quinn (2016): Sicherheitspraktiken und Säkularisierungsdiskurse: Versuch über Schutzmantelmadonnen, Körperscanner und die Notwendigkeit einer Sicherheitsethik, die auch verunsichert. In: Susanne Fischer / Carlo Masala (Hg.): Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen. Wiesbaden: Springer VS, S. 61-81.

[7] Vgl. dazu Wolfgang Bonß (1995): Vom Risiko. Unsicherheit und Ungewissheit in der Moderne, Hamburg: Hamburger Edition.

[8] Shmuel Eisenstadt (2000): Multiple Modernities, in: Daedalus. Nr. 129, Cambridge: MIT Press, 1-30.

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