2. Sicherheit: Drei Bedeutungsebenen
„Sicherheit“ ist ein schillernder Begriff. Er erstreckt sich auf alle Lebensbereiche und reicht von der Sicherheit der Geldanlagen über die Glaubens- oder Lebensmittelsicherheit bis hin zu „safer sex“. Wir sprechen über das Sicherheitsbedürfnis von Kleinkindern und von Staaten, über die Sicherheit der Renten, des Trinkwassers, der Stromversorgung und die Sicherheit nachts im Park. Allen gemeinsam ist, dass „Sicherheit“ ein Gegenbegriff ist – lebten wir in einer Welt ohne Bedrohung, ohne Risiko, ohne Gefahr, dann bräuchten wir das Wort nicht. Was für ein Leben das wäre, darüber müssten wir nachdenken.
Sicherheit ein Bedeutungskomplex, der nicht einfach und universell definiert werden kann. Die Perspektiven der Länder des Nordens und des globalen Südens auf Sicherheit, die Perspektiven unterschiedlicher sozialer Verortungen, Lebensbereiche und Geschlechter sind höchst unterschiedlich. Drei zentrale Bedeutungsfelder sind Sicherheit als Paradox, Sicherheit als Zukunftsdenken und das Maß der Sicherheit:
a. Sicherheit ist ein Paradox
In den Ländern des Nordens leben wir in den sichersten Gesellschaften, die je existierten. Und dennoch scheint „Sicherheit“ zum Leitbegriff geworden zu sein, der in den letzten Jahren nicht nur die ökonomischen, politischen und sozialen Diskurse, sondern auch die persönliche Lebensgestaltung und damit das private, gesellschaftliche und politische Handeln motiviert und bestimmt. Der Grund dafür ist ein „Sicherheitsparadox“: Unsicherheit ist eine der Voraussetzungen der Entwicklung von Gesellschaft; die Gesellschaft, die entwickelt wird, kann aber Unsicherheit immer weniger ertragen und steigert die Nachfrage nach Bewältigungsstrategien im Verunsicherungsprozess.[1] Je eingemauerter oder eingezäunter eine Gesellschaft oder ein Mensch ist, desto bedrohlicher ist die Welt jenseits der Mauern und Zäune. Das „Sicherheitsparadox“ – je mehr Sicherheit ich habe, desto mehr brauche ich – aber verstärkt sich zunehmend: Die Unüberschaubarkeit von Taten und deren Handlungsfolgen etwa, die unklare Zuschreibung von Verantwortung, ökologische und ökonomische Unsicherheit, aber auch die darunterliegende Abwesenheit elementaren Vertrauens und Trostes wandeln sich in die Nachfrage nach Sicherheit.
b. Sicherheit ist ein Zugriff auf Zukunft
Sicherheit, so der Philosoph und Politikwissenschaftler Peter Burgess, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Zugang zur Zukunft, „die nicht zufällig, sondern notwendigerweise ungewiss und voller Gefahren ist“[2]. Wissen um Sicherheit ist dabei virtuelles Wissen: ein Wissen darüber, wie wir handeln würden, wenn wir tatsächliches adäquates Wissen hätten. Und dieses Nichtwissen kann ein „known unkown“ sein, also ein Wissen, von dem man weiß, dass man es in letzter Konsequenz und Genauigkeit nicht weiß[3] oder das Rumsfeld‘sche „unkown unkown“, also ein Wissen, von dem wir noch nicht einmal wissen, dass wir es nicht wissen. Das Denken über Sicherheit also umfasst empirische Fakten, Statistiken (und damit möglichen Fakten), Ideen, Befürchtungen, Wünsche, Erfahrungen und Werte, die sich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegen.
c. Sicherheit hat Grenzen und Sicherheit braucht Grenzen
Sicherheit ist ein begrenztes Gut. Eine Rundum-Sicherheit ist zunächst aus ökonomischen Gründen nicht herstellbar. Aber sie ist auch nicht wünschenswert, denn eine Haltung, die Sicherheit über alles stellt, verwehrt uns, zu Ende gedacht, jede Freiheit, jedes Risiko, jede offene Zukunft. Nur in einer Gummizelle wären wir (einigermaßen) sicher. Rundum-Sicherheit ist nicht nur nicht herstellbar, sondern auch nicht wünschbar. Sicherheit also ist nicht nur begrenzt, sondern zu begrenzen. Darum braucht Sicherheit ein Maß.
[1] Adalbert Evers / Helga Nowotny (1987): Über den Umgang mit Unsicherheit. Die Entdeckung der Gestaltbarkeit von Gesellschaft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
[2] Burgess, Peter J. (2015): Sicherheit als Ethik. In: Peter Zoche, Stefan Kaufmann und Harald Arnold (Hg.): Sichere Zeiten? Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung. Berlin u.a.: LIT Verlag, 33.
[3] Beck, Ulrich (1992): From Industrial Society to the Risk Society: Questions of Survival, Social Structure and Ecological Enlightment. In: Theory, Culture & Society 9, S. 97–123.