« Menschenrechte und Kirchenrecht »

von: Peter G. Kirchschläger
New Haven (USA)


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1. Warum sind Menschenrechte für das Kirchenrecht relevant?

1.1. Biblisches Fundament

Menschenrechte können mittelbar über die Menschenwürde, für die sie eine Schutzfunktion ausüben, mit der jüdisch-christlichen Vorstellung der Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26-27) biblisch fundiert werden. Auf der Basis von Gen 1,26-27 legt sich eine relationale und funktionale Lesart der Gottebenbildlichkeit des Menschen nahe.[1] Von Gott wird dem Menschen die Aufgabe anvertraut und die Verantwortung[2] übertragen, für die Umwelt und für die Menschen zu sorgen. Zugleich spricht Gott den Menschen in der Schöpfung in Gottebenbildlichkeit an und tritt mit ihm in eine Beziehung. Dabei wird der Mensch von Gott als relationales Wesen dazu befähigt, seine Menschlichkeit zum Ausdruck zu bringen.

Diefunktional und die relational verstandene Gottebenbildlichkeit, in der alle Menschen unterschieds- und bedingungslos von Gott geschaffen werden, legt das biblische Fundament für die Menschenwürde: Alle Menschen sind Träger der Menschenwürde, weil sie – beruhend auf der Gottebenbildlichkeit des Menschen – im Dienste Gottes in Verantwortung und Sorge für die anderen Menschen und für die Umwelt stehen. Diese biblische Fundierung der Menschenwürde wirkt auch grundlegend auf die Menschenrechte, weil in einem nächsten Schritt gefolgert werden kann: Da jeder Mensch Menschenwürde besitzt und der biblisch fundierten Menschenwürde der Schutz der Menschenrechte zukommt, ist aus biblischer Sichtweise jeder Mensch Trägerin bzw. Träger von Menschenrechten.

[1] Vgl. G. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis, Das Alte Testament Deutsch Bd. 2/4, Göttingen 1967; A. Schüle, Menschsein im Spiegel der biblischen Urgeschichte (Genesis 1–11), in: Janowski B. et al. (Hg.), Der Mensch im Alten Israel, Herders Biblische Studien 59, Freiburg i. B. 2009, 591-611; P. Niskanen, The Poeticof Adam: The Creationof ‘dm in the Image of ‘lIhjm, in: Journal ofBiblicalLiterature 128 (2009) 417-436.

[2] Vgl. dazu P. G. Kirchschläger, Verantwortung aus christlich-sozialethischer Perspektive, in: ETHICA 22 (1/2014) 29-54.

In der Folgekann festgehalten werden, dass sich die Kirche aufgrund der Offenbarung am Menschenrechtsdiskurs beteiligt und die Menschenwürde als vorstaatliche Gegebenheit der Kirche vorgegeben ist.[3] Dies bedeutet, dass die Menschenrechte gar nicht zur Diskussion stehen[4] – auch nicht bezüglich ihrer innerkirchlichen Relevanz.[5]

Die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen enthaltene Universalität wird durch das jüdisch-christliche Grundprinzip der Nächstenliebe (Lev 19,11-18; sodann Mk 12,28-34 par; Röm 13,8-10; Gal 5,14)[6] bekräftigt. Jeder Mensch wird als „Nächster“ angesehen (vgl. Mt 25,40.45). Die Anspielung auf Gen 1,27 LXX in der Beschreibung der Geschlechter („männlich und weiblich“)in Gal 3,28 lässt erkennen, dass Paulus nicht nur christozentrisch (vgl. Gal 3,26: als Getaufte Christus als Gewand angezogen), sondern auch schöpfungstheologisch argumentiert.[7] Zudemwehrte sich Jesus gegen jegliche Form der Exklusion von Menschen.[8]

[3] Vgl. W. Aymans, Kirchliche Grundrechte und Menschenrechte, in: Archiv für katholisches Kirchenrecht Bd. 149 (1980) 389-409, 394.

[4] Vgl. D. Mieth, Menschenwürde im Christentum aus katholischer Sicht, in: Joreden J. C./Hilgendorf E./Thiele F. (Hg.), Menschenwürde und Medizin. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2013, 349-368, 354.

[5] Vgl. A. Loretan, Religionen im Kontext der Menschenrechte. Religionsrechtliche Studien, Bd. 1, Zürich 2010, 245; K. Hilpert, Die Menschenrechte in Theologie und Kirche, in: Münk H./Durst M. (Hg.), Theologie und Menschenrechte, Theologische Berichte 31, Freiburg i. Ü. 2008, 68-112, 103-107.

[6] Vgl. P. G. Kirchschläger, Nächstenliebe – das Leitprinzip christlicher Moraltheologie, in: Zeitschrift für katholische Theologie 137 (2/2015) 170-192.

[7] Vgl. dazu W. Vogels, The Human Person in the Image of God (Gn 1,26), in: Science et Esprit 46 (1994) 189-202, 200-202; S. Greenhalgh, Creative Partnership in Genesis, in: Scripture Bulletin 21 (1992) 9-14.

[8] Vgl. D. E. Aune, Human rights and early Christianity, in: Witte J. Jr./Alexander F. S. (Hg.), Christianity and Human Rights. An Introduction, Cambridge 2010, 81-98, 96-97.

1.2. Kirchliches Lehramt

Im Rahmen des II. Vatikanischen Konzils machte sich die Kirche im Zuge einer Adaption[9] die Menschenrechte zu Eigen.[10] „Kraft des ihr anvertrauten Evangeliums verkündet die Kirche die Rechte des Menschen, und sie anerkennt und schätzt die Dynamik der Gegenwart, die diese Rechte überall fördert.“ (Gaudium et spes [GS] 41)[11] Sie überwand dabei auch „theologische Stolpersteine“[12]. Nach der mit der Enzyklika „Pacem in terris“ (PT)[13] von Papst Johannes XXIII. erfolgten Integration der Menschenrechte „in der Mitte der kirchlichen Sozialverkündigung“[14] und aufbauend auf der dort vorgelegten Einordnung der Menschenrechte als „Zeichen der Zeit“[15] geschieht in der Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae (DH)[16] und in GS[17] eine theologische Aneignung der Grundforderungen der Menschenrechte. In einer Gegenüberstellung der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 mit GS 29 wird konkret sichtbar, wie die Kirche im Rahmen einer Adaption die Menschenrechte in den eigenen Glaubens-, Denk- und Verstehenshorizont überträgt.

[9] Adaption (vgl. P. G. Kirchschläger, Menschenrechte und Religionen. Nichtstaatliche Akteure und ihr Verhältnis zu den Menschenrechten, Gesellschaft – Ethik – Religion Bd. 7, Paderborn [im Druck]) versteht das Verhältnis zwischen den Menschenrechten und Religionen als dialogisches Aufeinandertreffen. Adaption kann u. a. „Rückkoppelungseffekte“ (K. Hilpert, Menschenrechtsrezeption in der Kirche: Was hat sich bisher entwickelt? Theologisch-ethische Perspektiven, in: JCSW 55 [2014] 59-78, 60), Wiederentdeckungen (vgl. A. Loretan, Die Freiheitsrechte in der Kirche. Aporien und Desiderate, in: JCSW 55 [2014] 131-154, 142) und Kritik (vgl. dazu H. Sauer/A. Riedl, Die Menschenrechte als Ort der Theologie. Ein fundamental- und moraltheologischer Diskurs, Linzer Philosophisch-Theologische Beiträge Bd. 9, Frankfurt a. M. 2003, 202-204) innerhalb der Grenzen der Menschenrechte beinhalten.

[10] Vgl. H. Maier, Kirche und Menschenrechte – Menschenrechte in der Kirche, in: JCSW 55 (2014) 21-42, 25-36.

[11] In der Anmerkung zum Titel von GS wird deren lehramtliche Bedeutung klargestellt: „Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute besteht zwar aus zwei Teilen, bildet jedoch ein Ganzes. Sie wird ‚pastoral‘ genannt, weil sie, gestützt auf Prinzipien der Lehre, das Verhältnis der Kirche zur Welt und zu den Menschen von heute darzustellen beabsichtigt. So fehlt weder im ersten Teil die pastorale Zielsetzung noch im zweiten Teil die lehrhafte Zielsetzung.“

[12] Vgl. I. Gabriel, Menschenrechte und Religionen: Kann der Brückenschlag gelingen? Theologische Stolpersteine und Resourcen, in: Schinkele B./Kuppe R./Schima S./Synek E. M./Wallner J./Wieshaider W. (Hg.), Recht – Religion – Kultur. FS Richard Potz. Wien 2014, 87-101, 91-97.

[13] Vgl. dazu L. Hogan, Human Rights and the Ethics of Peace, in: JCSW 55 (2014) 43-57.

[14] K. Hilpert, Die Menschenrechte. Geschichte, Theologie, Aktualität. Düsseldorf 1991, 146. Vgl. dazu M. Heimbach-Steins, Menschenrechte in Gesellschaft und Kirche. Lernprozesse, Konfliktfelder, Zukunftschancen, Mainz 2001, 11-45.

[15] Vgl. Papst Johannes XXIII., PT 39-45.75-79.126-129.142-145

[16] Vgl. DH 1-15.

[17] Vgl. GS Nr. 4-45.63-90. Vgl. dazu auch M. Möhring-Hesse, Horch, was kommt von draussen ‘rein? Zur Theologie christlicher Sozialethik im Anschluss an Gaudium et spes, in: Vogt M. (Hg.), Theologie der Sozialethik, QD 255, Freiburg i. B. 2013, 63-91, 69-73; S. Dlugoš/S. Müller, Kirche im Dialog mit der modernen Welt – Illusion oder Notwendigkeit? Zur Aktualität von Gaudium et spes, in: Tück J.-H. (Hg.), Erinnerung an die Zukunft. Das Zweite Vatikanische Konzil, Freiburg i. B. 22013, 622-634.

Vaticanum II hebt die unverfügbare Freiheit der menschlichen Person hervor und weist ihr die Rolle zu, Grundlage aller Rechtssetzung zu sein[18] Zudem stellt GS 12 klar, „dass alles auf Erden auf den Menschen […] hinzuordnen ist […]. Die Heilige Schrift lehrt nämlich, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist.“

[18] Vgl. GS 17.

In DH gelingt es, im Bezug auf Menschenwürde und Menschenrechte einen bedeutenden Schritt zu machen, indem – wie es Ernst-Wolfgang Böckenförde feststellt – der Mensch als Subjekt des Rechts verstanden wird.[19] Dabei stützt sich das Konzil in seiner theologischen Argumentation auf die Menschenwürde und damit verbunden auf die Suche nach der Wahrheit Gottes, die dem Menschen dank der Liebe Gottes offensteht.[20] „Die Kirche hält daran fest, dass die Anerkennung Gottes der Würde des Menschen keineswegs widerstreitet, da diese Würde eben in Gott selbst gründet und vollendet wird.“ (GS 21)

[19] Vgl. E.-W. Böckenförde, Einleitung zur Textausgabe der „Erklärung über die Religionsfreiheit“, in: Lutz H. (Hg.), Zur Geschichte der Toleranz und Religionsfreiheit, Darmstadt 1977, 401-421, 405-406.

[20] Vgl. W. Kasper, The Theological Foundation of Human Rights, in: The Jurist 50 (1980) 148-166, 152-153.

Darüber hinaus umfasst das Selbstverständnis der katholischen Kirche gemäss Papst Johannes Paul II. einen Einsatz als „Grossbewegung zur Verteidigung und zum Schutz der Würde des Menschen“[21]. Papst Benedikt XVI. verteidigte die Universalität der Menschenrechte gegen ihre Relativierung aus kulturellen, politischen, sozialen und religiösen Auffassungen.[22]

[21] Papst Johannes Paul II, Centesimus annus 3,4.

[22] Vgl. Papst Benedikt XVI., Eine menschlichere Welt für all. Die Rede vor der UNO, Freiburg i. B. 2008, 7-37, 23.25.

In seinem apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“, 218 hält Papst Franziskus fest: „Die sozialen Forderungen, die mit der Verteilung der Einkommen, der sozialen Einbeziehung der Armen und den Menschenrechten zusammenhängen, dürfen nicht unter dem Vorwand zum Schweigen gebracht werden, einen Konsens auf dem Papier zu haben oder einen oberflächlichen Frieden für eine glückliche Minderheit zu schaffen. Die Würde des Menschen und das Gemeingut gelten mehr als das Wohlbefinden einiger, die nicht auf ihre Privilegien verzichten wollen.“ Zudem argumentiert Papst Franziskus immer wieder mit der Menschenwürde und den Menschenrechten.[23]

Das Zweite Vatikanische Konzil legte auch das Fundament für eine selbstkritische Betrachtung aus einer menschenrechtlichen Perspektive (vgl. u. a. DH 12). Das Handeln der katholischen Kirche – gegen innen und gegen aussen – muss diesem Selbstverständnis der Orientierung an den Menschenrechten entsprechen.[24] Denn auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die Glaubwürdigkeit der Kirche. Im Zuge der Bischofssynode von 1974 und deren Nachbearbeitung betonte Papst Paul VI. die Notwendigkeit für die Kirche, ihre Haltung gegenüber den Menschenrechten in ihrem eigenen Wirkbereich immer neu einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.[25] Nur so kann die Einmahnung der Menschenrechte, wie sie Papst Johannes Paul II. in seiner Antrittsenzyklika „Redemptor hominis“ von 1979 eng mit der Sendung der Kirche in der heutigen Welt verstand, zu Veränderungen führen: „So drängt sich notwendig die Pflicht auf, diese Programme unter dem Gesichtspunkt der objektiven und unverletzlichen Menschenrechte einer ständigen Revision zu unterziehen.“[26] Papst Johannes Paul II. hat dies auch als Aufgabe formuliert.[27] Die gleiche Richtung schlug bereits die Bischofssynode von 1967 u. a. mit ihrer Forderung ein, die subjektiven Rechte in der Kirche verfahrensmässig zu gewährleisten.[28] Die Bischofssynode 1971 machte der Kirche selbst die Orientierung an den Menschenrechten zur Pflicht (vgl. De iustitia in mundo 40-49).

[23] Vgl. „Laudato si“ 158; vgl. auch Rede vor dem Europäischen Parlament in Strasbourg vom 25. November 2014.

[24] Vgl. R. Torfs, Human Rights in the History of the Roman Catholic Church, in: Van der Ven J./Ziebertz H.-G. (Hg.), Human Rights and the Impact of Religion, Leiden 2013, 55-74, 57.

[25] Vgl. P. Krämer, Menschenrechte – Christenrechte. Das neue Kirchenrecht auf dem Prüfstand, in: Gabriels A./Reinhardt H. J. F. (Hg.), Ministerium Justitiae. FS Heinemann Heribert, Essen 1985, 169-177, 170.

[26] Papst Johannes Paul II., Redemptor hominis Nr. 17.

[27] Papst Johannes Paul II., Allocutio, in: Corecco E./Herzog N./Scola A. (Hg.), Die Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft. Akten des IV. Internationalen Kongresses für Kirchenrecht, Freiburg i. Ü. 1981, XXIX-XXXIV, XXXII-XXXIII.

[28] Vgl. A. Loretan, Geschlechtergerechtigkeit – Herausforderung für Religion und Staat am Beispiel des Islam im Westen, in: Elsas C./FrankeE./Standhartinger A. (Hg.), Geschlechtergerechtigkeit: Herausforderung der Religionen, Berlin 2014, 59-76, 61.

1.3. Universalität der Menschenrechte

Die Kirche sieht sich mit dem moralisch begründeten Universalitätsanspruch der Menschenrechte (z. B. auf der Basis des Prinzips der Verletzbarkeit)[29] konfrontiert. Die Universalität der Menschenrechte beinhaltet ja, dass jeder Mensch überall und immer Träger der Menschenrechte ist. Dies bedeutet: „everybody matters”[30]. Demzufolge sind alle Menschen auch inner- und ausserhalb von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Träger von Menschenrechten.

[29] Vgl. P. G. Kirchschläger, Wie können Menschenrechte begründet werden? Ein für religiöse und säkulare Menschenrechtskonzeptionen anschlussfähiger Ansatz, ReligionsRecht im Dialog Bd. 15, Münster 2013, 231-335.

[30] K. A. Appiah, Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums, München 2007, 174.

Selbst wenn es in der Kirche zu Positionsbezügen kommen sollte, welche die moralische Begründbarkeit der Menschenrechte vernachlässigen sowie die Menschenrechte als „etwas Säkulares“ bezeichnen und ihnen so jegliche Relevanz für die Kirche absprechen wollen, unterstreicht die epistemische Bescheidenheit die Bedeutung der Menschenrechte als globalen Konsens. Epistemische Bescheidenheit bedeutet zum einen das Bewusstsein, dass der Mensch wegen seines Menschseins nie sicher sein kann, ob er die ihm z. B. von Gottoffenbarte Wahrheitrichtig wahrnimmt und versteht, und zum anderen das Wissen um die Differenz zwischen dem, was die göttliche Wahrheit ist, und dem, was der Mensch meint, was die göttliche Wahrheit ist. Epistemische Bescheidenheit führt so zu einer Anerkennung des Umstandes, dass es weltweit keine Normen gibt, die so hohe Akzeptanz wie die Menschenrechte geniessen.

2. Menschenrechte als Referenzpunkt

Menschenrechte können wie oben ausgeführt in ihrer biblischen Fundierung und in ihrer lehramtlichen Bedeutung verstanden werden. Streben Kirche und Theologie Glaubwürdigkei tund eine Wirkung an, dann gilt es, sich an den Menschenrechten als Referenzpunkt für ihr eigenes Entscheiden und Handeln sowohl ausserhalb als auch innerhalb der Kirche zu orientieren.[31] Denn Kirche und Theologie werden Schwierigkeiten haben, ihre Adressatinnen inner- und ausserhalb der katholischen Kirche zu erreichen, falls es keine Übereinstimmung zwischen dem kirchlichen Lehramt auf der einen Seite und dem CIC und dem CCEO der katholischen Kirche auf der anderen Seite geben sollte.[32] Es stellt eine conditio sine qua non dar, dass das Innenleben der katholischen Kirche – u. a. das Kirchenrecht – die Orientierung an den Menschenrechten reflektiert.[33] Denn es ergäbe sich sonst ein Begründungsnotstand, warum die biblisch fundierten Menschenrechte als Teil des kirchlichen Lehramtes irrelevant für die Gemeinschaft der katholischen Kirche und ihren rechtlichen Rahmen sein sollen. Aus der Perspektive des Rechtssubjekts bzw. des Opfers von Menschenrechtsverletzungen ist schlussendlich sekundär, wer die Menschenrechte durchsetzt. Primär erweist sich aus der Perspektive des Rechtssubjekts bzw. des Opfers von Menschenrechtsverletzungen als entscheidend, dass Menschenrechtsverletzungen ein Ende gesetzt wird, dass diese in Zukunft unterbunden und verhindert werden und dass die Menschenrechte realisiert werden.

[31] Vgl. K. Hilpert, Menschenrechte und Theologie. Forschungsbeiträge zur ethischen Dimension der Menschenrechte, Studien zur theologischen Ethik 85, Freiburg i. Ü. 2001, 394-397.

[32] Vgl. J. P. Beal, On Due Process: The Third Decade, in: Canon Law Society of America (Hg.), Protection of Rights of Persons in the Church. Revised Report of the Canon Law Society of America on the Subject of Due Process, Washington D.C. 1991, 1-12.

[33] Vgl. K. Hilpert, Menschenrechtsrezeption in der Kirche: Was hat sich bisher entwickelt? Theologisch-ethische Perspektiven, in: JCSW 55 (2014) 59-78, 69.

3. Menschenrechtshermeneutik

Eine Menschenrechtshermeneutik kann ihren Anfang in GS 3 nehmen, wo der einzelne Mensch ins Zentrum gerückt wird.[34] Diese Übernahme der Perspektive des einzelnen Individuums weist Berührungspunkte mit den Menschenrechten insofern auf, als Menschenrechte vom Individuum her zu denken sind, d. h. von der Rechtsträgerin sowie dem potentiellen oder realen Opfer von Menschenrechtsverletzungen.

[34] Vgl. S. Goertz, Von der Religionsfreiheit zur Gewissensfreiheit. Erwägungen im Anschluss an Dignitatishumanae, in: Trierer Theologische Zeitschrift 119 (2010) 235-249, 243; H.-J. Sander, Macht in der Ohnmacht. Eine Theologie der Menschenrechte, QD 178, Freiburg i. B. 1999, 144-148.

Diese Perspektive des Individuums ist gemäss DH 1 der Standpunkt einer Trägerin von Menschenwürde. Die formale Positionierung einer Menschenrechtshermeneutik im Zuge der Perspektivenübernahme des einzelnen Menschen bildet ihr erstes Element. Ausgehend vom Standpunkt des Individuums ist zu entscheiden, was zu tun ist, um seine Rechte in dem je spezifischen Kontext zu realisieren.

Die Menschenwürde stellt also den fixen Ausgangspunkt einer Menschenrechtshermeneutik (zweites Element) dar. Sie bindet zugleich die normative Ausrichtung an sich zurück und bewirktdie Notwendigkeit einer menschenrechtsorientierten Hermeneutik von Normativität. In anderen Worten bedeutet dies, dass die Menschenwürde den Kern des Sollens bildet.

Aufgrund ihrer ihr eigenes Wesen bestimmenden Schutzfunktion sind die Menschenrechte unmittelbar mit der Menschenwürde verbunden. Die Menschenrechte fügen sich als drittes Element einer Menschenrechtshermeneutik hinzu. Beispielsweise fordern die Menschenrechte an sich und die spezifischen Menschenrechte Kirche und Theologie heraus.

Als viertes Element einer Menschenrechtshermeneutik wirken die menschenrechtlichen Prinzipien Freiheit,[35] Selbstbestimmung, Gleichheit, Gerechtigkeit,[36] Partizipation, Solidarität und Verantwortung. Während die Prinzipien Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit, Gerechtigkeit und Partizipation auch explizit in einzelnen spezifischen Menschenrechten zum Ausdruck kommen, sind die Prinzipien Solidarität und Verantwortung in der Entsprechung von Pflichten und Verantwortung zu den Menschenrechten enthalten. Diese Korrespondenz ergibt sich, weil Menschenrechte keine exklusiven Rechte darstellen, sondern Rechte, die ein Individuum mit allen anderen Menschen in gleichem Masse teilt. Dies bedeutet, dass den individuellen Rechtsansprüchen eine individuelle Verantwortung und negative und positive Pflichten entsprechen, zur Realisierung der Menschenrechte von allen anderen Menschen beizutragen.[37] Zwischen den Rechten und den Pflichten bzw. der Verantwortung besteht ein asymmetrisches Verhältnis.[38]

[35] Vgl. dazu E. Schockenhoff, Glaube und menschliche Freiheit, in: P. Gilbert (Hg.), L’uomomoderno e la chiesa, Gregorian & Biblical Press, Rom 2012, 409-425.

[36] Vgl. dazu P. G. Kirchschläger, Gerechtigkeit und ihre christlich-sozialethische Relevanz, in: Zeitschrift für katholische Theologie 135 (4/2013) 433-456.

[37] Vgl. P. G. Kirchschläger, Human Rights and Corresponding Duties and Duty-Bearers, in: International Journal of Human Rights and Constitutional Studies 2 (4/2014) 309-321.

[38] Vgl. W. Wolbert, Menschenwürde, Menschenrechte und Theologie, in: SaThZ 7 (2003) 161-179.

Als fünftes Element einer Menschenrechtshermeneutik kommt die Praxis- und Handlungsorientierung hinzu. Menschenrechte wollen nicht theoretisch glänzen, sondern das Leben der einzelnen Menschen zum Guten verändern. Diese „prophetische Perspektive“[39] kennt Worte und Taten, sie identifiziert Verantwortungsrelationen und strukturelle Ungerechtigkeit und institutionalisiertes Unrecht, um Letztere zu unterbinden und zu verhindern.

[39] Vgl. J. Aldunate/L. Boff/J. Undurraga/A. Pérez Esquivel/M. Miranda/G. Zuleta/C. Ossio, Derechos Humanos, Derechos de los Pobres, Santiago de Chile 1989, 175-177.

4. Das Kirchenrecht aus menschenrechtlicher Perspektive

Eine Anwendung einer Menschenrechtshermeneutik und der Menschenrechte als Referenzpunkt erweist sich nicht nur aufgrund der biblischen und lehramtlichen Fundierung sowie der moralischen Begründung der Menschenrechte als ethisch legitim.Sie entspricht auch dem Selbstverständnis der Kirche, das eine grundsätzliche Lern- und Veränderungsbereitschaft in dieser Hinsicht nicht ausschliesst.[40]

[40] Vgl. GS 43.44. Vgl. dazu auch Reinhard Kardinal Marx, Die Leitungsaufgabe des Bischofs. Anmerkungen und Perspektiven, in: L. Müller/W. Rees (Hg.), Geist – Kirche – Recht. FS Libero Gerosa, Berlin 2014, 39-47, 42-43.

Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft sollte sich daher zum einen einer menschenrechtlichen Hermeneutik bedienen. Dies hat verschiedene Folgen:

a) Wenn das Kirchenrecht wahrnimmt, dass es die Rahmenbedingungen dafür festzulegen hat, dass die Offenbarung Gottes an den Menschen aus der Liebe Gottes heraus im Menschen Frucht bringen kann, dann wäre „ein Mittel dazu (…) eine diskrete und sorgsame Achtung der Rechte des Menschen, die für den Christen ihren Grund in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und in seiner brüderlichen (und schwesterlichen) Gleichheit haben. Nur unter diesen Voraussetzungen wird die Botschaft vom menschgewordenen Wort glaubwürdig sein.“[41]

[41] J. Neumann, Menschenrechte – auch in der Kirche? Zürich 1976, 199.

b) Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft stellen sich einer grundsätzlichen Reflexion, ob das Kirchenrecht seinem selbst gesetzten Minimalanspruch, die Grundrechte der Person zu verwirklichen, gerecht wird.[42] Es anerkennt die Menschenrechte, um deren Realisierung der Menschenrechte auch auf einer kirchenrechtlichen Ebene zu ermöglichen.[43]

c) Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft erkennen, dass aufgrund des Fehlens einer Verfassung auch die Aufgaben für die Kirche verloren gehen, die eine Verfassung wahrnimmt(„Schutz der Grundrechte und eine machtbeschränkende Organisation der obersten Instanzen [Gewaltenteilung]“[44]). Rechte und Pflichten aller Christinnen und Gläubigen werden im CIC 1983 aufgeführt, insbesondere in can. 208-223.[45] Auch wenn weder der Begriff „Menschenrechte“ noch der Ausdruck „Grundrechte“ fällt, kristallisiert sich dennoch heraus, dass neben ekklesiologischen Begriffen (vgl. z. B. can. 210, 211, 214, 219 222) auch Rechte genannt werden, die mit Menschenrechten und Grundrechten übereinstimmen (vgl. z. B. das Prinzip der Gleichheit can. 208, das Recht auf freie Meinungsäusserung can. 212 §3, das Recht auf Versammlungsfreiheit can. 215, das Recht auf Privatsphäre can. 220). Das Kirchenrecht beachtet zum einen auch die zu diesen canones korrespondierende Praxis. Letztere hängt davon ab, ob can. 208-223 als übergeordnete und universale Normen verstanden werden oder nicht, weil can. 208-223 ohne diese Eigenschaften keine Menschenrechte oder Grundrechte bilden.[46] Bisher werden sie nicht als übergeordnet und universal verstanden,[47] sodass ihnen faktisch kein Schutz zukommt.[48]

Zum anderen löst die gängige Praxis die Frage nach dem Verhältnis zwischen Individualrechten und dem Gemeinwohl aus,[49] bei der das Kirchenrecht bisher dem Gemeinwohl den Vorrang gibt. Dies ist aus menschenrechtlicher Sicht problematisch.[50] Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft erschliessen also, dass Menschenrechte nicht diejenigen Pfeiler dieses Rechtssystems sind, die sie eigentlich sein sollten, und dass hier Handlungsbedarf besteht.

d) Dem Kirchenrecht bzw. der Kirchenrechtswissenschaft eröffnet sich beispielsweise die Frage, warum das Menschenrecht auf Gewissensfreiheit nicht Teil des Buches II über die Pflichten und Rechte aller Gläubigen ist, sondern im can. 748 § 2 (Buch III über den Verkündigungsdienst der Kirche) erwähnt wird.

[42] Vgl. R. Torfs, A Healthy Rivalry: Human Rights in the Church, Leiden 1995, 89.

[43] Vgl. R. H. Helmholz, Human rights in the canon law, in: Witte J. Jr./Alexander F. S. (Hg.), Christianity and Human Rights. An Introduction, Cambridge 2010, 99-112, 112.

[44] J.-P. Müller, Die demokratische Verfassung. Zwischen Veränderung und Revolte, Zürich 2002, 87.

[45] Vgl. R. Torfs, Human Rights in the History of the Roman Catholic Church, in: Van der Ven J/Ziebertz H.-G. (Hg.), Human Rights and the Impact of Religion, Leiden 2013, 55-74, 61-62.

[46] Vgl. R. Torfs, Human Rights in the History of the Roman Catholic Church, in: Van der Ven J./Ziebertz H.-G. (Hg.), Human Rights and the Impact of Religion, Leiden 2013, 55-74, 64.

[47] Vgl. T. Marauhn, Grundrechte in den Kirchen? in: Richli P. (Hg.), Wo bleibt die Gerechtigkeit? Antworten aus Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft, Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft, Bd. 5, Zürich 2005, 203-225.

[48] Vgl. J. Neumann, Menschenrechte – auch in der Kirche? Zürich 1976, 197.

[49] Vgl. dazu R. Torfs, Rights in Canon Law. Real, Ideal or Fluff?, in: Canon Law Society of America (Hg.), Proceedings of the Sixty-First Annual Convention. October 4-7, 1999, Minneapolis 1999, 343-384.

[50] Vgl. J. A. Van der Ven, Three desiderata for Vatican III. An Appraisal of Vatican II from the perspective of Human Rights, in: ET-Studies 5/2 (2014) 217-227.

e) Ähnlich stellen das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft fest, dass das Menschenrecht auf Religionsfreiheit vom kirchlichen Gesetzgeber als in der menschlichen Person begründet anerkannt auch innerkirchlich zu gelten hat und dass seine Integration in den CIC wohl primär auf die Menschen abzielt, die nicht in voller Einheit mit der Kirche leben.[51] Dieser Eindruck wird noch durch can. 212 § 1, der die Forderung des Gehorsams der Christen umfasst, verstärkt. Diese Unterscheidung wird jedoch auf normativer Ebene der Universalität der Menschenrechte und dem Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948) nicht gerecht.

[51] Vgl. H. Mussinghoff, Pflicht, Recht und Freiheit der Menschen zur Wahrheit, in: Lüdicke K. (Hg.), Münsterischer Kommentar zum Codex IurisCanonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz Bd. 3, Essen 1987, 748/2.

f) Schliesslich erlaubt die Adoption einer menschenrechtsorientierten Hermeneutik dem Kirchenrecht eine noch stärkere Angleichung an die Heilige Schrift und an die sonstigen Aussagen des Lehramtes.

Zum anderen sollte das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft die Menschenrechte als Referenzpunkt in Anspruch nehmen. Dies löst u. a. folgende Konsequenzen aus: 

a) Die Gleichheit aller Menschen, die auf der Basis der Menschenwürde zur Tradition der katholischen Kirche (vgl. GS 27; 29) gehört und von der Kirche gemäss ihrem Selbstverständnis als Anwältin der Menschenrechte auch gegen aussen verkündigt wird, wird auf die Kirche selbst angewandt. Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft nehmen den Impuls zu einer kritischen Reflexion des Innen lebens der Kirche hinsichtlich der Gleichheit aller Menschen auf und – falls diesbezügliche Unrechtserfahrungen in der katholischen Kirche vorkommen sollten – zu einer gründlichen Analyse der rechtlichen Basis der institutionellen Strukturen und Mechanismen innerhalb der katholischen Kirche, die möglicherweise zu dieser Ungleichheit führen könnten.

b) Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft stossen eine kritische Überprüfung an, ob sich Dialogbereitschaft und partizipative Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse in der Kirche finden lassen. Falls dies nicht der Fall sein sollte, vollzieht das Kirchenrecht einen diesbezüglichen Wandel in den kirchlichen Strukturen. Denn die Dialogbereitschaft wird im Zweiten Vatikanischen Konzil von der Kirche verlangt (vgl. GS 3, GS 21, GS 25, GS 92). Für Dialogbereitschaft setzt sich die Kirche in ihrem globalen Menschenrechts engagement ein. Glaubwürdigkeit hinsichtlich ihrer Dialogbereitschaft gegen aussen und Resonanz ihrer Stimme weltweit würde die Kirche erreichen, wenn sie dabei auch ihr eigenes Innenleben mitansprechen würde.[52]

[52] Vgl. G. Kruip, „Eine einzige kohärente und zugleich stets neue Lehre“. Der Neuaufbruch der katholischen Soziallehre in Gaudium et spes, in: Kirche und Gesellschaft Nr. 393 (2012), 1-16, 11-12.

c) Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft werden sich der Rolle der Kirche als Arbeitgeberin bewusst und auf deren Besitz und deren Macht sowie auf die jeweils damit korrespondierende Verantwortung aufmerksam.[53] Das Kirchenrecht entfaltet dabei das innerkirchliche Potential der Menschenrechte.

[53] Vgl. M. Heimbach-Steins, Menschenrechte in Gesellschaft und Kirche. Lernprozesse, Konfliktfelder, Zukunftschancen, Mainz 2001, 47-50.

d) Das Kirchenrecht bzw. die Kirchenrechtswissenschaft überprüfen die Realisierung des Rechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit.[54]

e) Das Kirchenrechtbzw. die Kirchenrechtswissenschaft erinnern sich an das kirchliche Subsidiaritätsprinzip im Zusammenhang der Mitbestimmung der Ortskirchen.[55]

f) Der Kirche wird eine Schlüsselrolle als nichtstaatlicher Akteur der Menschenrechte für die Realisierung der Menschenrechte ermöglicht. Denn sie kann als Beispiel dafür dienen, wie Menschenrechte nicht nur gepredigt sondern auch von einem selbst realisiert werden.

[54] Vgl. Schlusserklärung des Internationalen Kongresses „Das Konzil ‚eröffnen‘“ vom 6.-8. Dezember 2015 an der Katholischen Akademie Bayern in München Nr. 3.

[55] Vgl. dazu F. Hafner, Kirchen im Kontext der Grund- und Menschenrechte, Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat Bd. 36, Freiburg i. Ü. 1992, 285-292.

g) Darüber hinaus kommt der Kirche unter den Religionen eine Pionierrolle in der Anwendung einer menschenrechtsorientierten Hermeneutik und Indienstnahme der Menschenrechte als Referenzpunk zu. Diese bringt sie in das Gespräch zwischen den Religionen ein.

h) Ausserdem wird die Kirche so zum Hauptgesprächspartner für Staaten u. a. im Bereich der Verantwortung für die Menschenrechte von nichtstaatlichen Akteuren. Das an den Menschenrechten orientierte Innenleben der katholischen Kirche (u.a. Strukturen, Mechanismen), insbesondere das entsprechend ausgerichtete Kirchenrecht, dient als Modell für andere religiöse und weltanschauungsbasierte Gemeinschaften und bereichert den Diskurs über das Verhältnis zwischen universellen Normen und rechtlichem Pluralismus, religionsverfassungsrechtliche Modelle.

i) Schliesslich wird die Kirche ihrer eigenen Verantwortung als nichtstaatlicher Akteur der Menschenrechte gerecht und unterstützt als normgebende und -setzende Institution die internationale Gemeinschaft, weil Letztere zwar auf den Menschenrechten basiert, diese aber nicht selbst garantieren kann.[56]

[56] Vgl. P. G. Kirchschläger, Mass-Losigkeit und andere ethische Prinzipien des Neuen Testaments, Leuven (im Druck), Kapitel 13.

5. Schlussbemerkungen

Kirche und Theologie haben in ihrer Auseinandersetzung mit den Menschenrechten dem Kirchenrecht genügend Begründungen und konkrete Hinweise gegeben, wie sich das Kirchenrecht stärker der eigenen Lehre und der eigenen Theologie hinsichtlich des Umgangs mit den Menschenrechten angleichen kann. Eine menschenrechtsorientierte Hermeneutik und die Menschenrechte als Referenzpunkt erlauben es dem Kirchenrecht bzw. der Kirchenrechtswissenschaft – wie auch anderen theologischen Fächern – im Einklang mit der biblischen Überlieferung und der eigenen Lehre zu bleiben. Dies kann vor dem folgenden Hintergrund geschehen: „Wie Papst Johannes XXIII. betont Papst Franziskus, dass die Kirche für die Menschen da ist und aus allen Menschen besteht, besonders den Armen. (…) Aggiornamento gilt auch für die ‚ecclesia semper reformanda‘. Es geht um die Glaubwürdigkeit ihrer Sendung, in deren Dienst sie steht.“[57]

[57] L. Karrer, 50 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil. Geist und Wirkung, in: Bibel und Liturgie 88 (3/2015) 144-158, 155.


Author

Peter G. Kirchschläger ist Visiting Fellow an der Yale University, Forschungsmitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern, Privatdozent an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg, Gastdozent an der Leuphana Universität Lüneburg, Fellow am Raoul Wallenberg Institute of Human Rights and Humanitarian Law der Universität Lund und Research Fellow an der University of the Free State, Bloemfontein. 2011-2015 war er Lehrstuhlvertreter an der Theologischen Hochschule Chur und 2013-2015 Forschungsdekan der Theologischen Hochschule Chur. 2011-2015 war er Mitglied des Direktoriums des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR), 2013 Visiting Scholar an der University of Technology Sydney und 2013-2014 Gastprofessor an der Faculty of Theology and Religious Studies an der Katholieke Universiteit Leuven.

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