« Vom untergeordneten Mithelfen zum Mitwirken auf Augenhöhe. Die laienorientierte Umgestaltung der klerikerzentrierten Kirchenstruktur »

von: Sabine Demel
Regensburg (DE)


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Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Papst Pius X. 1906 in einer Enzyklika erklärt: „Nur die Versammlung der Hirten hat das Recht und die Autorität, zu lenken und zu regieren. Die Masse hat kein anderes Recht, als sich regieren zu lassen, als eine gehorsame Herde, die ihren Hirten folgt.[1] Rund 60 Jahre später lehrt dagegen das II. Vatikanische Konzil, dass die Hirten die Laien brauchen, dass die Hirten ohne die Laien die kirchliche Sendung nicht umsetzen können. So heißt es nun in der dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ (= LG): „Die heiligen Hirten haben nämlich wohl erkannt, wie viel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen. Die Hirten wissen nämlich, dass sie von Christus nicht eingesetzt sind, um die ganze heilmachende Sendung der Kirche gegenüber der Welt alleine auf sich zu nehmen, sondern dass es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so zu weiden und ihre Dienstleistungen und Gnadengaben so zu prüfen, dass alle auf ihre Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenwirken“ (LG 30).

[1] Pius X., „Vehementer nos“ vom 11.02.1906, in: ASS 29 (1906), 3-16, 8f.

Was für eine kopernikanische Wende! Von den Laien ist nicht mehr im Passiv die Rede, sondern im Aktiv. Die Laien werden nicht mehr als verlängerter Arm der Kleriker gesehen, sondern als eigenständige Glieder der Kirche. Ihnen kommt kraft der Taufe eine eigene Berufung und Sendung zu, die als „Laienapostolat“ bezeichnet wird. 

1. Die eigene Berufung und Sendung der Laien seit dem II. Vatikanischen Konzil

Einen zentralen Niederschlag der neuen Sichtweise über die Laien stellen die beiden Lehren des Konzils über das gemeinsame und besondere Priestertum sowie über den Glaubenssinn aller Gläubigen dar:

a) In den Ausführungen über das gemeinsame und das besondere Priestertum (LG 10) wird dargelegt, dass kraft der Taufe alle Gläubigen – wie das Konzil sagt – zu „einem heiligen Priestertum geweiht“ (LG 10,1) werden und dadurch befähigt wie auch beauftragt sind, die göttliche Heilsbotschaft allen Menschen kundzutun. Gemeinsames Priestertum heißt also, dass jedes einzelne Glied des Volkes Gottes in, mit und durch die Taufe berufen ist, an der Sendung der Kirche mitzuwirken. Das ist die erste zentrale Aussage dieser Lehre. Auf ihrer Grundlage wird dann das zweite Element vom „geweihten Priestertum“ des ganzen Volkes Gottes wie folgt entwickelt: Wie alle Gläubigen kraft Taufe zum gemeinsamem Priestertum gehören, so sind einige darüber hinaus kraft der Weihe zum besonderem Priestertum bestellt, das auch als das amtliche oder hierarchische Priestertum bezeichnet wird. Dieses besondere Priestertum hat die Aufgabe, dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen Christus, das priesterliche Haupt des Volkes Gottes und damit den eigentlichen Priester, zu repräsentieren und zu vergegenwärtigen. Dadurch soll allen Gläubigen immer wieder neu bewusst werden, dass die Kirche nicht ein Produkt der Menschen oder der Natur ist, sondern eine Gemeinschaft eigenen Wesens, aus eigenem Grund, zu eigenem Zweck. Und Wesen, Grund und Zweck der Kirche ist einzig und allein Jesus Christus mit seinem göttlichen Sendungsauftrag.[2] Aufgabe und Funktion des amtlichen Priestertums machen somit deutlich: Das amtliche Priestertum ist für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen da und nicht umgekehrt; ja man kann sogar sagen: Gäbe es das gemeinsame Priestertum nicht, gäbe es auch das amtliche Priestertum nicht! Als Augustinus einst zum Bischof bestellt wurde, kleidete er diese Tatsache in die treffenden Worte: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof.“[3] Ähnlich hat es Joseph Ratzinger unmittelbar nach dem II. Vatikanischen Konzil formuliert: „Für sich gesehen und auf sich allein hin gesehen ist jeder Christ nur Christ und kann gar nichts Höheres sein. … Bischof (und entsprechend Presbyter) ist man immer ,für euch‘ oder man ist es nicht.“[4]

[2] Vgl. Aymans, W., Lex canonica. Erwägungen zum kanonischen Gesetzesbegriff, in: AfkKR 153 (1984), 337-353, 348.

[3] Augustinus, Sermo 340,1, in: Drobner, H.R., „Für euch bin ich Bischof.“ Die Predigten Augustins über das Bischofsamt, Würzburg 1993, 59.

[4] Ratzinger, J., Zur Frage nach dem Sinn des priesterlichen Dienstes, in: GuL 41 (1968), 347-376, 371.

b) Die Lehre vom Glaubenssinn des ganzen Volkes Gottes besagt, dass nicht nur das amtliche Priestertum die Gabe der Wahrheitsfindung besitzt, sondern auch jeder und jede einzelne Gläubige. Denn das Konzil sagt klar: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben, kann im Glauben nicht fehlgehen“ (LG 12,1). Jeder und jede einzelne Gläubige ist also geistbegabt; oder umgekehrt ausgedrückt: Niemand ist unbegabt! Allerdings bedarf das Gottesvolk dazu auch der Leitung des geweihten Amtes, wie das Konzil im unmittelbaren Kontext herausstellt: „Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der Wahrheit geweckt und ernährt wird, hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt (vgl. 1 Thess 2,13), den einmal den Heiligen übergebenen Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest. Durch ihn dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an“(LG 12,1).

Es wird also betont, dass der Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes auf die Leitung des heiligen Lehramtes, also auf das geweihte Amt vor allem in der Gestalt des Bischofsamtes, angewiesen ist. Doch wie diese Leitung zu gestalten ist, was sie beinhaltet, wird nicht ausgesagt, nicht einmal angedeutet. Als zwei Eckdaten für diese „Leitung“ können wohl gelten, dass das heilige Lehramt einerseits den Glaubenssinn nicht erst bewirkt, sondern vielmehr ermitteln muss, und andererseits als kritische Instanz die verschiedenen Glaubensäußerungen auf die Identität und Authentizität des Glaubens hin zu überprüfen hat (vgl. LG 12,2). Somit ist der Glaubenssinn einerseits neben dem heiligen Lehramt und der Theologie eine eigenständige Erkenntnis- und Bezeugungsinstanz des Glaubens und ist zugleich auf die Überprüfung seiner Echtheit durch das heilige Lehramt und die Theologie angewiesen.

2. Notwendige Korrekturen im kirchlichen Gesetzbuch 

Recht in der Kirche steht nicht im theologieleeren Raum, sondern versteht sich durchweg als praktische Umsetzung theologischer Vorgaben. Daher hat kirchliches Recht stets Maß zu nehmen an den jeweiligen theologischen Vorgaben. Genau das ist allerdings im Hinblick auf die ekklesiologische Stellung der Laien bisher nicht in hinreichendem Maße geschehen. Denn die Knotenpunkte des kirchlichen Lebens sind nach wie vor einseitig kleriker- bzw. priesterzentriert ausgestaltet, angefangen bei der alleinigen Entscheidungskompetenz in kirchlichen Gremien über die Dominanz bei den kirchlichen Diensten und Ämtern bis hin zur ausschließlichen Zuständigkeit für die Besetzung zentraler Kirchenämter. Die Berufung aller anderen Gläubigen des Gottesvolkes, also der Laien, tritt in den Schlüsselsituationen und -positionen dagegen kaum oder nur sehr eingeschränkt in Erscheinung. Um hier Theorie und Praxis zusammenzubringen, sind mehrere Rechtsreformen notwendig.

2.1. Explizite Aufnahme des gemeinsamen Priestertums und Glaubenssinnes aller Gläubigen

Da den beiden Lehren vom gemeinsamen Priestertum und vom Glaubenssinn aller Gläubigen eine „ontologisch-rechtliche“[5] Bedeutung zukommt, sind die entsprechenden Schlüsselbegriffe in die grundlegenden Bestimmungen des Verfassungsrechts aufzunehmen. Gleich die einleitende verfassungsrechtliche Bestimmung c.204 §1 sollte daher künftig so oder ähnlich umformuliert werden:[6]

[5] Corecco, E., Taufe, in: Ecclesia a sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, hrsg. v. Ahlers, R., u.a., Paderborn 1992, 27–36, 30, und Bertolini, R., Sensus fidei, Charismen und Recht im Volk Gottes, in: AKathKR 163 (1994), 28–73, 71f. 

[6] Im Folgenden sind die Ergänzungs- und Neuformulierungsvorschläge durch Kursivschrift kenntlich gemacht.

Gläubige sind jene, die durch die Taufe Christus eingegliedert und zum Volk Gottes gemacht sind. Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem heiligen Priestertum geweiht und mit dem Glaubenssinn begabt. Dadurch sind sie auf ihre Weise des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden und gemäß ihrer je eigenen Stellung zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat.

Analog dazu sollte auch die Einleitungsnorm des Katalogs über die „Pflichten und Rechte aller Gläubigen“ (cc. 208–223) um diese beiden theologischen Schlüsselbegriffe des gemeinsamen Priestertums und Glaubenssinnes erweitert und entsprechend umformuliert werden:

Durch die Wiedergeburt in Christus zu einem heiligen Priestertum geweiht und mit dem Glaubenssinn beschenkt,besteht unter allen Gläubigen eine wahre Gleichheit in ihrer Würde und Tätigkeit, kraft der alle je nach ihrer eigenen Stellung und Aufgabe am Aufbau des Leibes Christi mitwirken.

Nicht nur einer Ergänzung um Schlüsselbegriffe, sondern einer völlig neuen Fassung bedarf c. 207 §1. Hier sollte erstens die grundlegende Gemeinsamkeit aller Gläubigen deutlicher als bisher zum Ausdruck gebracht werden, was durch die Aufnahme der beiden ekklesiologischen Zentralbegriffe des „Gottesvolkes“ und der „communio“ geschehen könnte. Zweitens sollte die einseitig konstruierte Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien korrigiert werden, indem nicht nur deren Gegenüberstellung, sondern auch und zuerst deren wechselseitige Zuordnung und deren Zusammenwirken in der Auferbauung der communio thematisiert wird. Dazu sollte der Laienbegriff getilgt und an seine Stelle die Lehre vom gemeinsamen und amtlichen Priestertum aufgenommen werden. Damit wäre unmissverständlich klargestellt, dass sich die grundlegende Gemeinsamkeit auch in den sendungsspezifischen Unterschieden zwischen Laien und Klerikern durchhält und nicht etwa durch diese aufgehoben wird. C. 207 §1 könnte demnach künftig lauten:

Inmitten des priesterlichen Gottesvolkes werden einige Gläubige kraft göttlicher Weisung durch das Sakrament der Weihe zu geistlichen Amtsträgern für die anderen bestellt; diese werden im Recht auch Kleriker genannt. Das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen und das amtliche Priestertum sind, obgleich unterschieden, in der Auferbauung der kirchlichen communio notwendig aufeinander hingeordnet.[7]

[7] Braunbeck, E., Der Weltcharakter des Laien. Eine theologisch-rechtliche Untersuchung im Licht des II. Vatikanischen Konzils, Regensburg 1993, 357.

Dementsprechend sollte der Begriff des Laien erst zu Beginn des Katalogs der „Pflichten und Rechte der Laien“ (cc. 224–231) eingeführt werden, und zwar nicht mehr nur negativ-abgrenzend, sondern ebenfalls mit Hilfe der Lehre vom gemeinsamen Priestertum. C. 224 könnte hier um eine Definition des Laien wie folgt ergänzt werden:

Laien sind jene Gläubigen, die aufgrund ihres gemeinsamen Priestertums, nicht aber durch das mit der Ordination verliehene amtliche Priestertum, auf ihre Weise an der Sendung der Kirche teilhaben.[8] Sie haben außer den Pflichten und Rechten, die allen Gläubigen gemeinsam sind, und denen, die in anderen Canones festgesetzt sind, die Pflichten und Rechte, die in den Canones dieses Titels aufgezählt sind.“

[8] Vgl. ebd., 356, die diese Umschreibung als eine Möglichkeit vorstellt, selbst aber eine Definition vorschlägt, in der die besondere Prägung mit dem Weltcharakter aufgenommen ist (ebd., 358; 368f).

Diese begrifflichen Erweiterungen und Umformulierungen in den einleitenden Canones zum Verfassungsrecht würden zum einen die Funktion eines Signals ausüben, das die Verbindungslinien zu den entsprechenden Lehren des II. Vatikanischen Konzils anzeigt und dadurch zugleich bewusstseinsfördernd wirkt; zum zweiten würden sie gleichsam die tiefere theologische „Erdung“ darstellen und so den grundlegenden Bestimmungen ein noch größeres Gewicht als Beurteilungsmaßstab für alle folgenden Konkretisierungen verleihen. Sie hätten die symbolische Funktion, die theologische Grundlage und Grundhaltung der katholischen Kirche zum Ausdruck zu bringen, dass es auch und gerade innerhalb der Kirche um einen (institutionalisierten) Dialog geht und um die (institutionalisierte) Teilhabe aller Gläubigen am dreifachen Amt Christi. 

2.2. Die rechtliche Normierung des Glaubenssinnes aller Gläubigen

Obwohl in den Textentwürfen zum CIC/1983 ursprünglich auch eine kurze Darlegung der Lehre vom Glaubenssinn der Gläubigen vorgesehen war,[9]  wurde diese nicht in die Endfassung des CIC übernommen. Die Gründe dafür werden in den Dokumenten über die Reformarbeiten leider nicht genannt. Gerade aus heutiger Sicht sollte diese Streichung insofern rückgängig gemacht werden, als der damalige Textentwurf überarbeitet und an geeigneter Stelle in den CIC eingefügt werden sollte. Für beides gibt es bereits einen guten Vorschlag: Da der Glaubenssinn die Befähigung ist, Gottes Wort zu hören und zu bezeugen, liegt es nahe, zu Beginn des Verkündigungsrechtes die derzeitige Einleitungsbestimmung zum Verkündigungsrecht (c. 747) um einen Paragraphen zu erweitern, der den vorhandenen beiden Paragraphen dieses c. 747 vorgeordnet werden sollte. Dessen Text könnte wie folgt lauten:

[9] Vgl. c.55 §2 LEF/1971; ausführlicher dazu Ohly, Ch., Der Glaubenssinn der Gläubigen. Ekklesiologische Anmerkungen zum Verständnis eines oft missverstandenen Phänomens im Beziehungsverhältnis von Dogmatik und Kanonistik, in: AkathKR 168 (1999), 51–82, 81f.

Kraft Taufe und Firmung besitzt die Gesamtheit der Gläubigen Unfehlbarkeit im Glauben. Diese besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie ,von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien‘ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert. Durch jenen Glaubenssinn der Gläubigen hält das Gottesvolk unter der Leitung des heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt, das einmal anvertraute Glaubensgut unverlierbar fest. Durch dieses dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn im Leben voller an.[10]

[10] Ebd., 82.

Das wäre ein gelungener Auftakt zum Verkündigungsrecht, dem im Sinne einer theologischen Präambel grundlegende Bedeutung für das gesamte Verkündigungsrecht zukäme. Um dies in aller Klarheit zum Ausdruck zu bringen, sollte deshalb auch in c. 750 §1 nicht mehr davon die Rede sein, dass das universale und ordentliche Lehramt der Kirche „durch das gemeinsame Fest-halten der Gläubigen unter der Führung des heiligen Lehramtes offenkundig“ gemacht wird. Die rein reaktiv-passive Formulierung „durch das gemeinsame Festhalten aller Gläubigen“ müsste vielmehr ersetzt werden durch die aktivische Aussage: „durch den Glaubenssinn der Gläubigen.[11]

[11] Ebd., 81, Anm.77; vgl. Burghardt, D., Institution Glaubenssinn. Die Bedeutung des sensus fidei im kirchlichen Verfassungsrecht und für die Interpretation kanonischer Gesetze, Paderborn 2002, 193.

Als weitere Folgewirkung des neuen c. 747 §1 für das kirchliche Verkündigungsrecht wäre auch die Rechtsbestimmung über die allgemeine Gehorsamspflicht aller Gläubigen in c. 212 §1 um den Hinweis auf den Glaubenssinn aller Gläubigen zu ergänzen, und zwar wie folgt:

Was die geistlichen Hirten in Stellvertretung Christi unter Beachtung des Glaubenssinnes der Gläubigen als Lehrer des Glaubens oder als Leiter der Kirche bestimmen, haben die Gläubigen im Bewusstsein ihrer eigenen Verantwortung in christlichem Gehorsam zu befolgen.[12]

[12] Ohly, Der Glaubenssinn (Anm.9), 81, Anm.76, der allerdings nicht „Beachtung“, sondern „Wertschätzung“ des Glaubenssinnes der Gläubigen formuliert hat.

2.3. Institutionelle Räume zur Entfaltung des gemeinsamen Priestertums, des Glaubenssinnes und des eigenständigen Laienapostolats

Die begriffliche Aufnahme des gemeinsamen Priestertums und des Glaubenssinnes in grundlegende und damit zentrale Rechtsbestimmungen ist das eine. Das andere ist die Konkretisierung dieser neu akzentuierten Kernaussagen in die einzelnen Rechtsbereiche hinein. Sie muss unbedingt hinzukommen, damit das gemeinsame Priestertum, der Glaubenssinn und das eigenständige Laienapostolat wirklich eine das kirchliche Leben prägende Kraft werden können. Das heißt konkret: Den Laien muss künftig durchgängig ein höheres Maß der Beteiligung an allen kirchlichen Vollzügen, Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen zukommen, und zwar nicht nur im Sinne eines Zugeständnisses der kirchlichen Autorität, sondern rechtlich abgesichert, weil ihnen dieses Recht aufgrund der ihnen von Gott in der Taufe verliehenen Würde, Autorität und Teilhabe an seinem dreifachen Amt des Lehrens, Heiligens und Leitens der Kirche zusteht. Dazu sind drei entscheidende Rechtsänderungen notwendig:

a) Mehr Ausübungsrechte der Laien bei den kirchlichen Diensten und Ämtern

Im geltenden Recht sind fast alle Dienste und Ämter auf die Kleriker ausgerichtet und stehen nur in Ausnahmefällen – insbesondere in Zeiten des Priestermangels – den Laien offen, wie z.B. die Predigt in der Eucharistiefeier, die Beerdigung, die Leitung von priesterlosen Sonntagsgottesdiensten, die Spendung der Krankenkommunion, die Vorbereitung auf den Sakramentenempfang oder das Amt des kirchlichen Richters, der Theologieprofessorin, des Caritasdirektors und der Seelsorgeamtsleiterin oder des Leiters des katholischen Büros. Diese kleriker- und hierarchiezentrierte Gestalt der kirchlichen Dienste und Ämter ist zu überwinden und zu einer laien- und an der Gemeinschaft des Gottesvolkes orientierten Ausgestaltung umzuformen. Dazu sind bei diesen und vielen weiteren Diensten und Ämtern die Klauseln der Notsituation und des Ausnahmefalls für die Ausübung durch Laien zu streichen. Alle kirchlichen Dienste und Ämter, die nicht strikt an den Empfang des Weihesakraments gebunden sind, sind rechtlich so umzuformulieren, dass sie auch den Laien prinzipiell und unabhängig vom klerikalen Personalbestand offen stehen bzw. übertragen werden können.

b) Mehr Mitspracherechte der repräsentativen Vertretungsgremien der Laien bei Entscheidungen

Im Anschluss an das II. Vatikanische Konzil sind die sog. Gremien der Mitverantwortung des ganzen Gottesvolkes eingerichtet worden. Die bekanntesten davon sind jene auf der Pfarr- und Bistumsebene wie der Pfarrpastoralrat (c. 536 CIC) bzw. Pfarrgemeinderat nach der Konzeption der Würzburger Synode,[13] der Diözesanpastoralrat (cc. 511ff CIC) und die Diözesansynode (cc. 460ff CIC). Sie sind als institutioneller Raum geschaffen worden, in dem sich die Teilhabe des ganzen Gottesvolkes – und hier insbesondere der Laien – an der Sendung der Kirche artikulieren soll und kann. Sinn und Zweck dieser Gremien ist es, die Beiträge der Vielen zu bündeln und repräsentativ zu vertreten. Doch in der rechtlichen Ausgestaltung ist für alle diese repräsentativen Einrichtungen ausschließlich eine Mitwirkung in der Form der Beratung vorgesehen; es ist also keinerlei Mitentscheidungskompetenz rechtlich verankert, ja nicht einmal ein Anhörungsrecht. Besonders eklatant zeigt sich dies bei der Besetzung wichtiger Ämter in der Kirche wie des Amtes eines Pfarrers, Bischofs und Papstes. Die Entscheidung über deren Besetzung geschieht nahezu im Alleingang der geweihten Amtsträger, während Laien – wenn überhaupt – höchstens eine beratende Rolle zukommt. 

[13] Vgl. dazu Beschluss: Räte und Verbände, Teil III.1.16. In: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe, Bd.I., Freiburg i.Br.1976, 651-677, 663f.

Diese Rechtstatsache steht nicht im Einklang mit dem Grundanliegen der Communiotheologie bzw. der Beteiligung des ganzen Gottes Volkes an der Sendung der Kirche. Deshalb sind für diese repräsentativen Gremien des Volkes Gottes künftig zumindest Mitspracherechte für zentrale Entscheidungen des Bischofs und Pfarrers verbindlich vorzuschreiben. Das betrifft alle wichtigen Personalentscheidungen, Fragen der Gestaltung und Organisation des liturgischen Lebens, der pastoralen Schwerpunktsetzung und der ökumenischen Arbeit wie auch alle finanziellen Angelegenheiten. Verwirklicht werden sollte dieses durchgängige Mitspracherecht mit Hilfe des Instituts des sog. Beispruchsrechts, das die Anhörung oder Zustimmung bestimmter Personen zur Gültigkeit der Amtshandlung verpflichtend vorschreibt (c. 127 CIC). Konkret: Die schon bestehenden Vertretungsorgane auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen wie Pfarrpastoralrat bzw. Pfarrgemeinderat und Diözesanpastoralrat sind so mit Anhörungs- und Zustimmungsrechten auszustatten, dass die Taufsendung der Laien ebenso deutlich zum Tragen kommt wie die Letztverantwortung der Kleriker.

c) Mehr Mitentscheidungsrechte der Laien bei synodalen Zusammenkünften

Finden repräsentative Versammlungen der Kirche statt wie z.B. das Ökumenische Konzil (cc. 337ff CIC), die Vollversammlung einer nationalen Bischofskonferenz (cc. 454ff CIC) oder die Diözesansynode, dann werden wichtige Entscheidungen für die Zukunft der Kirche getroffen. Bei diesen Versammlungen handelt es sich aber oft um reine Bischofs- oder Klerikerzusammenkünfte. Laien sind in der Regel nicht ordentliche TeilnehmerInnen, und wenn doch, dann nicht mit einem Stimmrecht, sondern höchstens mit einem Mitspracherecht oder gar nur mit einem Teilnahmerecht. Das ist keine communiogemäße Struktur. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müssen die rechtlichen Vorgaben in den folgenden drei Punkten geändert werden: 

(1.) Der repräsentative Anteil der Laien ist bei den verschiedenen Versammlungsformen der Kirche so zu erhöhen, dass eine adäquate Repräsentanz des gesamten Volkes Gottes gewährleistet ist. 

(2.) Alle versammelten TeilnehmerInnen – egal, ob Mann oder Frau, Kleriker oder Laie – sind in gleicher Weise am Entscheidungsprozess zu beteiligen, so dass nicht mehr zwischen Stimm-, Beratungs- und Teilnahmerecht differenziert wird, sondern jedem und jeder das gleiche entscheidende Stimmrecht zukommt. 

(3.) Die Letztverantwortung der zuständigen kirchlichen Autorität (Papst und Bischof) kommt durch ein eigenes Einspruchsrecht zum Ausdruck, das allerdings begründungspflichtig ist und nachweisbar einen Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre oder die geltende Rechtsordnung der katholischen Kirche geltend machen muss.

3. Die laienorientierte Umgestaltung der Strukturen als Zukunftsfrage für die Kirche

Die katholische Kirche kann es sich nicht länger leisten, mit ihrem Recht in der „lähmenden Selbstwidersprüchlichkeit“ [14] zu verharren, die zwischen den Aussagen über die Kirche und den Strukturen in der Kirche herrscht. Es kann nicht weiterhin ständig die Rede von den „Schwestern und Brüdern“ wie auch vom „Volk Gottes“, von der „kirchlichen Gemeinschaft“ und der „Teilhabe aller an der Sendung der Kirche“ sein, andererseits aber in den entscheidenden Momenten des kirchlichen Lebens kaum ein Miteinander, kaum eine kooperative Arbeitsweise, kaum eine Beteiligung an Entscheidungsprozessen rechtlich abgesichert sein. Der Preis, der für diese selbstwidersprüchlichen Strukturen in der Kirche gezahlt wird, sind zunehmend mangelnde Bereitschaft zum Engagement in der Kirche und sinkende Mitgliederzahlen. Sie sind die Quittung dafür, dass die Strukturen der katholischen Kirche weder überlieferungsgerecht, noch lebensdienlich sind. Deshalb sind die Strukturen der Kirche dringend so umzugestalten, dass sie der biblischen Überlieferung und Tradition der Urkirche von der Vielfalt, der Geschwisterlichkeit und dem partnerschaftlichen Miteinander in der Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi entsprechen. Ein entscheidender Schritt dazu stellt die laienorientierte Umgestaltung der kirchlichen Strukturen dar. Sie besteht in der rechtlichen Ausweitung des Raumes der Mitwirkung, der Mitbestimmung und Mitentscheidung für Laien, so dass diesen nicht mehr nur ein einflussloses Mithelfen zugestanden, aber umgekehrt auch keine LückenbüßerInnenfunktion für fehlende Priester zugemutet, sondern ein Mitwirken auf Augenhöhe rechtlich zugesichert wird. Eine laienorientierte Umgestaltung der kirchlichen Strukturen führt zu dem, was modern als „Ermächtigung“ bzw. „Empowerment“ bezeichnet wird und Formen der Machtausübung meint, die nicht lähmend, sondern förderlich wirken, sowie Machtstrukturen, bei denen die Fäden der Macht nicht nur in eine Hand oder nur in wenige Hände gelegt werden, sondern in möglichst viele und miteinander vernetzte Hände. Denn durch diese laienorientierte Umgestaltung der kirchlichen Strukturen wird keineswegs die Letztentscheidungskompetenz des Leitungsamtes in den grundlegenden Fragen des Glaubens, der Sitten und des kirchlichen Rechts in Frage gestellt, sondern die gemeinsame Verantwortung aller Glieder des Volkes Gottes für die kirchliche Sendung und Identität ernst genommen und es werden die rechtlichen Voraussetzungen für ein koordiniertes sowie effektives Miteinander aller zum Wohle der Kirche geschaffen.

[14] Kosch, D., Machtteilung, Machtbeschränkung und Ermächtigung in der römisch-katholischen Kirche, in: Mitbestimmung und Menschenrechte. Plädoyer für eine demokratische Kirchenverfassung, hrsg. v. Heizer, M., Hurka, H.P., Kevelaer 2011, 223-254, 225.


Author

Sabine Demel ist promovierte und habilitierte  Theologin und seit 1997 Professorin für Kirchenrecht an der Universität Regensburg. Sie ist Mitbegründerin des Vereins AGENDA-Forum katholischer Theologinnen und des Vereins DONUM VITAE zur Förderung des Schutzes des menschlichen Lebens in Bayern e. V. sowie Vizepräsidentin der „Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das Verhältnis von Theologie und Recht, Beteiligungsstrukturen in der Kirche und die Ökumene. Sie tritt für eine lebensnahe Auslegung der kirchlichen Gesetze ein und will aufzeigen, wie Recht in der Kirche zu Frieden und Freiheit beitragen kann.

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