Knut Wenzel – « Zwischen Angst und Fülle. Zu einer Theologie des Bedürfnisses nach Sicherheit »

Das Fridericianum, Hauptausstellungsort der Documenta seit der ersten von 1955, trägt am Giebel des Portikus, wo sonst lapidar Museum Fridericianum steht, 2017 zur Documenta 14 eine andere Aufschrift. Es handelt sich um eine Arbeit von Banu Cennetoğlu. Aus den Buchstaben der ursprünglichen Aufschrift, ergänzt mit weiteren von gleicher Gestaltung, hat sie einen Satz gebildet, die Buchstaben gesperrt gesetzt, doch ohne eigens zwischen den Wörtern Raum zu lassen, mit der Wirkung von Monumentalität und erschwerter Lesbarkeit. BEINGSAFEISSCARY. „Sicher zu sein ist beängstigend“. Der Satz steht da, wo Fürsten und Päpste durch Repräsentationsbauten den Glanz ihrer Herrschaft feiern oder ihr durch das Anbringen von Epigrammen ein eigentümliches Gepräge verleihen, Friedrich II. über dem Eingang zu Schloss Sanssouci, Papst Paul V. an der Fassade von Sankt Peter (Friedrichs Motto lässt sich im Zusammenhang des hier erörterten Themas sogar etwas abgewinnen: Sans Souci – ohne Sorge). Diese Geste der Inszenierung und Emblematisierung von Macht leiht Banu Cennetoğlu sich aus, um eine dunkle Dialektik des Begriffs der Sicherheit aufscheinen zu lassen: Sicherheit hat eine innere Beziehung zur Gewalt – als der kraftvoll ausgeübten, Widerstände überwindenden und Grenzen setzenden Macht –, und es ist diese intrinsische Gewaltförmigkeit, die Sicherheit angstproduktiv sein lässt.

1. Bedürfnis und Diskurs

Nicht Sicherheit an sich, aber das Bedürfnis nach Sicherheit ist ein Antrieb allgemeiner menschlicher Kulturproduktivität. Indem solchermaßen zwischen einem Bedürfnis einerseits und dessen Thematisierung andererseits unterschieden wird, werden die Artikulationen und Beantwortungen des Sicherheitsbedürfnisses – Mauern, Bewehrungen, Überwachungen … – von diesem unterschieden und nicht mit ihm identisch gesetzt. Damit aber ist bereits der Ansatzpunkt einer Kritik der Sicherheit gesetzt, Kritik zunächst einmal verstanden als Unterscheidung: Das Bedürfnis ist ursprünglich, schlechterdings unkritisierbar; es weiß in dieser Ursprünglichkeit aber nicht um sich, hat kein Wissen, keine episteme von sich; wo dieses sich bildet, entsteht etwas Neues: die interpretierende Unterwerfung eines Bedürfnisses unter den Diskurs über es. Denn die Unterwerfung des Bedürfnisses unter seine Deutung bringt deren Diskursivität zur Geltung, sie wird thematisierbar, kritisierbar, zurückweisbar. Doch nicht nur eine bestimmte Interpretation, der Vorgang der Unterwerfung eines ursprünglichen Bedürfnisses unter den Diskurs seiner Deutung selbst wird so kritisierbar. Nur aufgrund der angesprochenen Unterscheidung kann ein ursprüngliches Bedürfnis von seiner Versprachlichung im Begriffsfeld „Sicherheit“ unterschieden werden. Es ist also möglich, den „Diskurs der Sicherheit“ zu kritisieren, ohne damit das ursprüngliche Bedürfnis, das im Diskurs der Sicherheit artikuliert oder vereinnahmt wird, zu desavouieren. Versteht sich für ein Bedürfnis dessen Legitimität von selbst, gilt dasselbe nicht vom Diskurs über es. Gut möglich, dass bereits die Bedürfnisse selbst etwas Absolutes haben – ein Bedürfnis ist an sich selbst schlechterdings nicht relativierbar; die Sublimation seiner Befriedigung hat stets den Charakter eines Vertrags, der jederzeit aufkündbar ist.

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